Kommentar

Überlieferung: unikal in C.

Form: Der Leich ist formidentisch mit dem zweiten Leich im Korpus, mit dem er einen Doppelleich bildet; siehe die Formanalyse im dortigen Kommentar. Übervoll ist V. 34. Wieder gibt es eine Reihe auftaktloser Verse, die sich wiederum teils mit Betonungseffekten oder Enjambement korrelieren lassen; auffällig ist auch, dass immer wieder benachbarte, reimgebundene Verse durch fehlenden Auftakt verbunden sind (V. 22, 44, 45, 46, 49, 56, 73, 74, 75, 80, 81, 88, 89, 105, 110, 114, 119, 121, 136, 146, 147, 149, 155, 158). Die Anreimung V. 30/31 über die Grenze eines Großabschnitts hinweg mag Zufall sein.

Inhalt: Minneleich.

Der Inhalt des Texts löst die Ankündigung am Ende des zweiten, in C unmittelbar vorangehenden Leichs – dass es nun um die Dame des Ichs gehen soll – vollumfänglich ein. Wieder entsprechen die formale und die inhaltlich-thematische Gliederung einander weitgehend, abgearbeitet werden ausschließlich Ideologeme der Hohen Minne, der argumentative Duktus ist fahrig.

Seine Dame ist Ursache seines Leids, selbst aber frei von Leid und verfügt über eine läuternde Kraft (Abschnitt I, V. 1–18). Im Vergleich mit dem (ungevüegen) Mann stechen Damen weit heraus, ihre Qualitäten werden ins Bild eines Tugendbaums gefasst (II, V. 19–30). Für das Ich muss der Schatten dieses Baumes genug sein, Problem des ze hôhe gerns (III, V. 31–54). Die Huld der Dame übertrifft alle weltliche Macht (IV, V. 55–66). Auf die von außen kommende Frage, wie das Ich sein Dilemma (das Dilemma der Hohen Minne) zu lösen gedenkt, nennt es ihren minneclîchen gruoz und bekennt sich zu seiner Dame. Schelte trifft jene, die dem Sänger unterstellen, er wolle mehr als dieses eine Wort (VI, V. 91–102).

Die zweite, kleinere Hälfte des Textes wendet sich ab von der Lohnthematik und hin zum Preis ihrer werdecheit. Alles ist topisch: Ihr Lob wird als unsagbar markiert, eingeflochten ist eine kleine Literaturschau: Auch die großen (Leich‑)Dichter Ulrich von Gutenburg, Otto zum Turm (?), Heinrich von Rugge, Hartmann (?) von Aue, Rudolf von Rotenburg und Friedrich von Hausen – nicht von allen Genannten hat sich Leichdichtung erhalten! – hätten ihr Lob nicht zu sagen vermocht (VII, V. 103–123). Das Ich wiegt bescheiden seine mangelnde kunst mit seiner bedingungslosen gunst auf (VIII, V. 124–135). Erst gegen Ende des Leichs adressiert das Ich seine Dame direkt, bittet sie, hofft auf Trost, lobt sie; dunkel ist der Vergleich mit Gralant (IX, V. 136–159; siehe dazu Kern, S. 297 mit Anm. 533 sowie die dort angegebene Literatur). Nur sie gilt ihm alles, die anderen Frauen nichts; zugleich wird seine Klagesituation auf andere Liebende übertragen, hinführend auf die mitleidheischende Pointe, dass des Nachbarn Sorgen auch die eigenen sind oder sein sollen (X, V. 160–172).

Florian Kragl

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