Autor
Da Hartmann von Aue – in den Liederhandschriften als Hartman von Owe (A, fol. 30r) bzw. Her Hartman von Owe (B, pag. 33; C, fol. 184v) bezeichnet, vgl. auch die Autorsignatur Hartman in Lied C Hartm 52–54, I,3 – nicht urkundlich bezeugt ist, sieht man sich für Informationen über den Autor im Wesentlichen auf Selbstaussagen in seinen eigenen Werken und auf Aussagen in den Werken seiner Dichterkollegen verwiesen. Die Miniaturen in B und C, die Hartmann als Ritter mit drei weißen Adlerköpfen auf dunklem Schild zeigen, haben zwar zu einigen Spekulationen Anlass gegeben, sind aber als Zeugnisse letztlich nicht sehr belastbar (vgl. Wolf, S. 18–20).
Glaubt man den Selbstaussagen Hartmanns in den Prologen seiner epischen Werke (insbesondere ›Armer Heinrich‹, V. 1–5), dann war er ein gelehrter Ritter und Ministeriale in Aue. Glaubt man weiterhin der Aussage Heinrichs von dem Türlin (›Krone‹, V. 2353), dann muss dieses Aue im damaligen Herzogtum Schwaben liegen, was im Übrigen auch zum sprachlichen Befund stimmt (vgl. Cormeau/Störmer, S. 32f.). Von den mindestens sechs Orten, die sich hier zur Wahl stellen, dürfen nach Jürgen Wolf die folgenden drei die größere Plausibilität für sich beanspruchen: Weißenau bei Ravensburg, Obernau/Niedernau bei Rottenburg am Neckar sowie Au bei Freiburg (vgl. Wolf, S. 33–35).
Auch die zeitliche Situierung muss bei den Werken selbst ansetzen (vgl. zum Folgenden Cormeau/Störmer, S. 26–31). So hat man als terminus post quem für die Entstehung des ›Erec‹ aufgrund der Erwähnung von Connelant (V. 2003) wahlweise 1179/80 bzw. 1188 (diplomatische Kontakte mit dem Sultanat Ikonium) oder 1190 (Eroberung Ikoniums durch Barbarossa) angenommen; und als terminus ante quem für die Entstehung des ›Iwein‹ ergibt sich aufgrund einer Anspielung im ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach (253,10–14) die Zeit um 1205 (ungefähre Entstehungszeit des ›Parzival‹). Geht man nun aufgrund intertextueller und stilistischer Befunde davon aus, dass der ›Erec‹ Hartmanns erstes und der ›Iwein‹ sein letztes Werk ist, dann lässt sich Hartmanns Schaffenszeit damit auf ca. 1180/90 bis 1205 eingrenzen. Nicht auszuschließen ist natürlich, dass einzelne seiner Lieder schon früher entstanden sind. Und auch nach hinten bleibt Spielraum. So führt Gottfried von Straßburg im Literaturexkurs seines um 1210 entstandenen ›Tristan‹ den bewunderten Kollegen noch unter den Lebenden (V. 4621–4637). Erst Heinrich von dem Türlin beklagt in seiner wohl in den 1220/30er Jahren entstandenen ›Krone‹ Hartmanns Tod (V. 2348–2415).
Aber lässt sich die Entstehungszeit der Lieder vielleicht noch näher eingrenzen? Zwei Ereignisse spielen in diesen Liedern eine so gewichtige Rolle, dass man sich schwertut, sie als rein topische Versatzstücke ohne biographische Relevanz abzutun: der Tod des eigenen Herrn und die Teilnahme am Kreuzzug (vgl. unten zu Hartmanns Werk). Um welchen Herrn es sich handelt, lässt sich kaum rekonstruieren, so dass sich aus dieser Angabe auch kein terminus post quem für die Entstehung der betreffenden Lieder gewinnen lässt. Möglich, dass Hartmann hier auf den Tod eines Gönners anspielt, aber wo sollte man diesen Gönner suchen: bei den Staufern, bei den Welfen, bei den Zähringern? Cormeau/Störmer plädieren für Letztere (S. 36), wogegen Wolf an den »eng verwobenen staufisch-welfischen Kreis der Hocharistokratie« denkt (S. 39). Jedenfalls bleiben die Vermutungen aber zu vage, als dass sich der Tod des Herrn genauer festmachen ließe.
Ein aussichtsreicherer Kandidat auf historische Verortbarkeit ist der von Hartmann wiederholt thematisierte Kreuzzug. Wenn Sultan Saladin in Hartmanns Minnekreuzlied C 58–60 als bereits verstorben erwähnt wird (vgl. den entsprechenden Liedkommentar), dann kann sich das Lied nur auf den Kreuzzug Heinrichs VI. von 1197 – nicht etwa auf den Barbarossa-Kreuzzug von 1189 – beziehen. Damit ist immerhin eine ziemlich genaue Datierung von C 58–60 im Vorfeld des besagten Kreuzzugs gewonnen. Ob diese Datierung auch für die übrigen (Minne-)Kreuzlieder Hartmanns gilt, ist aber eine ganz andere Frage. Und schon gar nicht lässt sich aus der Datierung dieses einen, von Teilen der älteren Forschung aufgrund fragwürdiger Prämissen als Höhe- und Endpunkt angesehenen Liedes ein terminus ante quem für Hartmanns gesamte Liedproduktion ableiten (vgl. Cormeau/Störmer, S. 28f.).
Überlieferung
Die Weingartner Liederhandschrift (B) überliefert unter dem Namen Hartmanns neun Lieder. Diese neun Lieder eröffnen in derselben Reihenfolge, aber mit teilweise erweitertem Strophenbestand und/oder abweichender Strophenfolge auch das Hartmann-Korpus in der Manessischen Liederhandschrift (C Hartm 11 ist hierbei durch Verweiszeichen nach C Hartm 2 eingeordnet). Zugrunde liegt den beiden Handschriften hier offensichtlich eine gemeinsame Vorlage *BC, wobei C noch weitere Vorlagen hinzugezogen zu haben scheint (vgl. Kühnel, S. 12 u. 37).
Es folgen in C zehn weitere Lieder (sofern man C Hartm 33–34 als eigenständiges Lied und nicht als Nachtragsstrophen zu C Hartm 17–20 betrachtet), bei deren letztem es sich um einen noch zum Grundstock gehörigen Nachtrag handelt (vgl. den Liedkommentar zu C Hartm 58–60). Die Kleine Heidelberger Liederhandschrift (A) bietet unter dem Namen Hartmanns lediglich drei Lieder, die sämtlich auch in B und/oder C enthalten sind, wobei sich AC im Zweifelsfall hinsichtlich Strophenbestand (vgl. A Hartm 7–10 et al.) und Strophenfolge (vgl. A Hartm 4–6 et al.) näherstehen als AB.
Zwei der insgesamt neunzehn unter dem Namen Hartmanns überlieferten Lieder begegnen an anderer Stelle unter anderen Autornamen: B 18–22 et al. ist in jeweils kürzerer Fassung in der Würzburger Liederhandschrift (E) unter dem Namen Reinmars und in den Möserschen Bruchstücken (M₁) unter dem Namen Walthers überliefert. A 1–3 et al. ist in erweiterter Fassung in E unter dem Namen Walthers überliefert; eine nur in E enthaltene Strophe dieses Liedes begegnet außerdem in der Haager Liederhandschrift (S) als Einzelstrophe, ebenfalls unter dem Namen Walthers (vgl. Henkel; zu beiden Liedern Burkert).
Werk
Was die Form betrifft, sind Hartmanns Lieder fast durchweg in Kanzonenstrophen mit regelmäßig alternierendem Rhythmus gehalten. Ausnahmen sind das daktylische Lied C Hartm 45–47 und das in einer reienartigen Strophenform gehaltene ›Unmutslied‹ C Hartm 52–54. Auffällig ist der doppelte Aufgesang in den formgleichen Liedern B Hartm 13–16 et al. und C Hartm 33–34.
Hartmanns minnesängerisches Œuvre ist bemerkenswert vielseitig. Versuche der älteren Forschung, die Lieder Hartmanns zu einem ›Zyklus‹ bzw. ›Roman‹ zu ordnen (vor allem Blattmann), gelten heute zwar als obsolet, können aber immerhin als ein Indiz dafür gewertet werden, dass der Minnesänger Hartmann vom Epiker nicht immer scharf zu trennen ist. Dazu passt die Beobachtung, dass gewisse Elemente – wie z. B. die vom liebenden männlichen Ich wiederholt eingestandene Schuld, die notwendigerweise zum Gunstentzug der Dame geführt habe (vgl. vor allem B Hartm 1–2 et al. u. B Hartm 23–25 et al.) – bis ins sprachliche Detail hinein mit Hartmanns ›Iwein‹ übereinstimmen (vgl. Reusner, S. 12–20, sowie den Liedkommentar zu B Hartm 1–2 et al.).
Gleichwohl wird man Hartmanns Lieder nicht in erster Linie vor dem Hintergrund seiner Epik oder auch seiner minnedidaktischen ›Klage‹, sondern im Kontext des zeitgenössischen Minnesangs selbst verstehen dürfen, nämlich als kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Hohen Minne, das sowohl von außen her – durch die Verpflichtung auf Gott und den Dienstherrn – als auch von innen her – sei es inhaltlich oder durch die inszenierte Kommunikationssituation – infrage gestellt wird. Die folgende Bestandsaufnahme soll das verdeutlichen.
1. Gottesdienst
Von Hartmann sind – die formgleichen Lieder B Hartm 13–16 et al. und C Hartm 33–34 getrennt gerechnet – vier (Minne-)Kreuzlieder überliefert; hinzu kommen mindestens zwei Lieder (B Hartm 26–28 et al. und C Hartm 40–41), die den Kreuzzugskontext immerhin nahelegen. Der Fokus kann hierbei auf der Minne selbst – konkret auf dem Abschiedsschmerz (C Hartm 40–41) oder auf der von der Dame geforderten Treue (B Hartm 17 et al., B Hartm 26–28 et al.) –, aber auch auf der programmatisch behaupteten Überlegenheit des Gottesdienstes gegenüber dem Frauendienst (C Hartm 58–60) liegen, die zur Überlagerung des Liebesdiskurses durch den religiösen Diskurs führt (C Hartm 33–34) bis hin zu dem Punkt, wo kaum noch von einem Minne-Kreuzlied gesprochen werden kann (B Hartm 13–16 et al.).
2. Herrendienst
Eng mit dem Thema des Gottesdienstes ist bei Hartmann dasjenige des Herrendienstes verbunden – erscheint doch im Kreuzlied B Hartm 13–16 et al. der Tod des eigenen Dienstherrn als Initialmotiv für Weltabkehr und Teilnehme am Kreuzzug. Entsprechend hat man auch aus der berühmten Saladin-Stelle des Minnekreuzlieds C Hartm 58–60 mittels Konjektur den Tod des Dienstherrn herauslesen wollen (vgl. den zweiten Apparat zu II,7) – wohl zu Unrecht. Eine wichtige Rolle spielt der Tod des Dienstherrn dagegen in Lied C Hartm 1–2,11,3–4, wo es abermals zu einer klaren Hierarchisierung kommt: Der Verlust des Herrn betrifft das Ich weit existentieller als der Verlust der Gunst der Minnedame.
3. Frauendienst
Aber auch dort, wo der Frauendienst weder mit Gottes- noch mit Herrendienst konkurriert, bleibt er als Modell nicht unangefochten. So steht einer vergleichsweise konventionellen Minneklage wie B Hartm 7–8 et al. die stoische ›Anti-Minneklage‹ B Hartm 23–25 et al. oder das ›Jubellied‹ C Hartm 45–47 gegenüber. Auf die Zumutungen der Hohen Minne reagiert das Ich mit Kritik (B Hartm 18–22 et al.), Distanznahme (C Hartm 38–39) und vorübergehender Dienstaufkündigung (B Hartm 3–6 et al.). Eine weitere Möglichkeit stellt der Weg in die Selbstreflexivität dar (A Hartm 4–6 et al.). Den Höhepunkt der genannten Tendenzen bildet das sogenannte ›Unmutslied‹ C Hartm 52–54, das der Hohen Minne eine mit Autorsignatur versehene Absage zugunsten der auf Gegenseitigkeit beruhenden Liebe zu nicht-adligen Frauen erteilt.
4. Kommunikationssituation
Selbst dort, wo – wie im sogenannten ›Unmutslied‹ – der Rahmen dessen, was noch als Hohe Minne bezeichnet werden kann, gesprengt wird, bleibt die Kommunikationssituation in den bisher genannten Liedern doch diejenige des traditionellen Minne- und Werbelieds: der Monolog des liebenden männlichen Ichs. Nur noch eine Stimme unter anderen ist die Stimme dieses männlichen Ichs dagegen in dem durch einen Dialog des Boten mit der Dame eröffneten Lied A Hartm 1–3 et al. Gänzlich zum Verstummen kommt sie in den drei Frauenliedern, die die Dame in den ganz unterschiedlichen mentalen Zuständen der Wut (C Hartm 35–37), des Begehrens (C Hartm 48–51) und der Trauer (C Hartm 55–57) zeigen.
Justin Vollmann