Überlieferung: Die Strophe ist in BCD überliefert, in B teilweise mit deutlichen inhaltlichen und metrischen Abweichungen.
Form: (.)4a (.)4a .5-b / (.)4c (.)4c .5-b // (.)4-d (.)4-d (.)4e .5-f (.)4-g (.)4-g (.)4e .5-f (.)4e (Walther von der Vogelweide, Hofweise (Wendelweise; Wiener Hofton)), siehe Tonkommentar. In B sind die V. 6 und 14 überfüllt, in V. 14 ist außerdem das Reimschema gebrochen (so dass der Reim auf kinde in V. 10 fehlt).
Inhalt: Mahnung vor dem Jüngsten Gericht.
Mit dem biblischen Wachet-Ruf (etwa Eph 5,14) beginnt die Warnung vor dem Jüngsten Gericht, das alle Erdenvölker, kristen, juden unde heiden (V. 3), fürchten müssen. Die Parusie-Motivik unterscheidet das Lied von thematisch ähnlichen Spruchstrophen wie z.B. C Wa 2 oder C Wa 4. Kochs bezeichnet die Strophe als »das erste Beispiel eines geistlichen Tageliedes« (S. 35), leitet die Form aus dem Minnesang ab und sieht darin eine parodistische Form.
Walther verwendet hier eine reiche biblische Bildmotivik, und erinnert auch mit dem Verweis auf die Sonne, die ir schin verkeret hat (V. 7) an die zeichen (V. 4) der künftigen Wiederkehr Christi. Die Forschung hat darin sehr konkrete Bezüge sehen wollen und aufgrund einer errechneten Sonnenfinsternis am 27. November 1201 die Spruchstrophe auf diesen Zeitraum datiert. Dass die Reichsunsicherheit nach dem Tod Heinrichs VI. bisweilen eschatologisch gedeutet wurde, dürfte außer Frage stehen; die Konkretheit solcher Bezüge – etwa wenn Burdach V. 12 als direkte Invektive gegen den päpstlichen Kardinal-Legaten Guido von Praeneste versteht (S. 341) – muss freilich Spekulation bleiben.
Auffällig ist in jedem Fall, dass Walther weniger an einer Schilderung außerordentlicher kosmischer Ereignisse interessiert ist – auch die Sonnenfinsternis (die allgemein zur eschatologischen Topik gehört) ist ja lediglich erwähnt. Stärker akzentuiert ist der Zerfall der Welt, der sich, angelehnt an die drei aristotelischen Bereiche der Ethik, Ökonomie und Politik, nämlich in der persönlich gedachten untru̍we (V. 8), dem Zerfall der Familie und schließlich dem allgemeinen Niedergang der Gerichte vollumfänglich vollzieht.
Björn Reich
B Wa 39 = L 21,25; RSM ¹WaltV/7/4aZitieren | |||
![]() Weingartner Liederhandschrift (Stuttgart, LB, HB XIII 1), pag. 152 | |||