Überlieferung: Das vierstrophige Lied ist in ABC im Rugge-Korpus überliefert, in C erneut im Reinmar-Korpus. Im Wortbestand und in der Wortreihenfolge weichen BCC nur vereinzelt voneinander ab (z. B. steht nur in C Rugge IV,2 als Reimwort schal). A hingegen zeigt größere Abweichungen, wobei v. a. die Wortumstellungen im Abgesang von A II und III auffallen. Die Liedeinheit sowie die Strophenfolge wurden, trotz der einheitlichen Strophenanordnung in den vier Überlieferungszeugen, in der Forschung verschiedentlich diskutiert. Für eine Übersicht vgl. MF/MTE, S. 93. Von Kraus bezeichnet die Strophen als »Variationen« (MF/KU, S. 249). Aarburg (in Anmerkungen bei Spanke, S. 309) überlegt, die Strophen zusammen mit C Rugge 5 et al. zu einem Lied (mit der Folge IV, III, I, C Rugge 5 et al., II) zusammenzufassen.
Form: .4a .4b / .4a .4b // .4c .4c .4d .5d
Es liegen achtversige Stollenstrophen vor. Kein Auftakt in A II,7 und A III,7. Unterfüllt ist A III,8; überfüllt sind BCC IV,6.8. Der b-Reim ist gestört in C Rugge IV.
Inhalt: Spruchhafter Appell, auf die innere Schönheit der Frauen zu achten (Str. I); Abschiedsklage mit Kaisertopos (Str. II); Evokation von Sommerfreude (Str. III, IV). Während die Str. III und IV über ein Naturbild verbunden sind, ist der Strophenzusammenhang mit den Str. I und II nur lose.
Die erste Strophe ist eine gnomische Ermahnung, die Frauen nicht nur nach ihrer Schönheit, sondern nach ihrem muͦt (I,6) zu beurteilen, denn ihre varwe (I,5) ist vergänglich. Cramer zählt diese Strophe (wie auch Str. IV) zu den ›androgynen‹ Strophen, bei denen die Zuordnung sowohl zu einem männlichen als auch zu einem weiblichen Sprecher-Ich möglich ist: »Denkt man sich die Eingangsstrophe von einer Frau artikuliert, dann [...] warnt die Frau den Mann vor einem Fehler, den er in der zweiten Strophe begeht« (S. 26).
Die zweite Strophe ist eine Abschiedsklage: Viele gute Freunde lässt der Sprecher zurück und die eine, deren Gruß sein Herz mehr erfreuen würde, als wenn er Kaiser in Rom wäre. Vereinzelt wurde für diese Strophe ein Kreuzzugsbezug angenommen (eine Übersicht über die Forschungspositionen gibt Rudolph, S. 190).
Str. III und IV begrüßen den nahenden Sommer: Der Winter ist mit swere (IV,4) verbunden; im Sommer wird die Klage des Sprechers senfter (III,3). Augen und Ohren werden von der Natur erfreut (vgl. III,4f., IV,1,8). Eine Frau hat den Sprecher getroͤstet (III,6), sodass er die (Sommer-)Zeit genießen kann. Auffällig ist die Strophenordnung: Während sich in Str. III das Ich voller Sommerfreuden inszeniert, ist Str. IV dominiert von der Hoffnung auf den nahenden Sommer. Diese Chronologie kann Grund zur Strophenumstellung geben (s. o.), gleichzeitig lässt sie sich als Hinweis auf den zyklischen Verlauf der Jahreszeiten, die Vergänglichkeit von Sommer wie Winter, lesen.
Sandra Hofert
A Rugge/29v/2 1 = MF 107,27Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 29v | |||
I | |||
A Rugge/29v/2 2 = MF 107,35Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 29v | |||
II | |||
A Rugge/29v/2 3 = MF 108,6Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 30r | |||
III | |||
A Rugge/29v/2 4 = MF 108,14Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 30r | |||
IV | |||