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Reinmar, ›Gewan ich ie deheinen muͦt‹ (A 28–33) DruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: Die Überlieferungssituation ist vertrackt. C führt unter Reinmar ein neun­stro­phiges Lied (C Reinm 11–19), zu dem nicht weniger als sieben parallele Textzeugen existieren. Die Parallelüberlieferung zerfällt nach dem Strophenbestand relativ klar in zwei Gruppen: Die eine Gruppe wird gebildet von A Reinm 28–33, B Reinm 9–13 und E Reinm 72–74, sie überliefern insgesamt sieben verschiedene Strophen. Die andere Gruppe besteht aus A Wa 24–27, C Wa 254–255, C Wa 359–362 sowie E Reinm 120–122 und weist insgesamt vier verschiedene Strophen auf. Sieben von neun Strophen aus C Reinm 11–19 haben Parallelen in der ersten Gruppe, nur zwei Strophen in der zweiten Gruppe. Abgesehen davon ist B Reinm 13 die einzige Strophe, die die erste und die zweite Gruppe durch Parallelüberlieferung verbindet.

Als Kuriosum mag man verbuchen, dass C in der zweiten Gruppe gleich zweimal vertreten ist, beide Male mit Liedern im Walther-Korpus, die teilweise zueinander parallel gehen, sodass also gleich drei Textzeugen dieses Liedverbundes aus C stammen. Auch A und E sind mehrfach (nämlich doppelt) vertreten.

In der ersten Gruppe ist die Strophensequenz von A und E einerseits sowie von B und C andererseits (wenn man von Plus- bzw. Fehl­stro­phen absieht) identisch. In der zweiten Gruppe ist die Reihung der Strophen von Textzeuge zu Textzeuge stabil, nicht aber der Strophenbestand.

Das Lied E Reinm 120–122 ist durch die variierenden Initialengrößen sowie die Nennung des Dichternamens vor E Reim 114 überdies noch mit E Reinm 114–119 zusammengefasst (siehe sekundäre Lied­ein­heit).

Auffällig ist, dass die erste Gruppe ausnahmslos Überlieferungen unter Reinmar bietet, die zweite Gruppe aber Reinmar und Walther mischt. Welche Strophen bzw. Lieder tatsächlich Reinmar oder Walther gehören, ist nicht zu entscheiden. Insbesondere jene Strophen, die nur bzw. auch unter Walther überliefert sind (einzig A Wa 25 / C Wa 254 / C Wa 360 ist nur für Walther belegt), werden von der Forschung mit der Reinmar-Walther-Fehde in Zusammenhang gebracht (so etwa Schweikle, S. 315f.). Siehe zu jenem vermeintlichen Sängerstreit den Autorkommentar.

Die formalen Parallelen sowie die inhaltlich eher losen Verknüpfungen aller Strophen miteinander erlauben verschiedene Kombinationen, was ursächlich sein könnte für die starke Varianz des Strophenbestandes und der Strophenfolge. Schweikle, S. 313, sieht in dem Überlieferungsgeflecht ein aus der Vortragspraxis entstandenes Strophenarsenal, das im Laufe der Zeit immer wieder zu neuen Lied­ein­heiten erweitert bzw. gekürzt und umgruppiert wurde (vgl. auch Schweikle, S. 211–223). Mit demselben Recht könnte man von zwei Liedern ausgehen, die sich den Ton teilen und die erst im Verlauf der Überlieferung zusammenwachsen wollten.

Die Herausgeber älterer Ausgaben haben unterschiedliche Schlüsse aus der Überlieferung gezogen. MF/MT teilen die Strophenmasse entsprechend des oben skizzierten Befundes auf zwei Lieder auf (vgl. auch MF/MTE, S. 105–107).

Form:

Gruppe I: .4a .4b / .4a .4b // .4-c .5-c .4d .7d

Gruppe II: .4a .4b / .4a .4b // .3-c .5-c .4d .7d

Es liegen achtversige Stollen­stro­phen vor. Insgesamt ist die Form recht regelmäßig. C Reinm IV,5 sowie IX,5 sind dreihebig, sodass in C Reinm 11–19 beide Formvarianten zu finden sind. Auffällig sind zudem die Reimstörungen der E-Strophen des zweiten Liedverbundes: In E Reinm 120 ist der b-Reim gestört (V. 2 reimt grammatisch mit V. 1, V. 4 ist eine Waise). In E Reinm 122 ist der a-Reim gestört (V. 1 ist eine Waise, V. 3 reimt als identischer Reim mit V. 7).

MF/MT verstehen die in ihrer Edition unter Ton IV geführten Strophen (A Wa 24–27 et al.) als neunversig (mit einer Waise in V. 8), wodurch die formale Differenz der beiden Liedverbünde intensiviert wird. Von Kraus, Bd. I, S. 60, sieht auch C Reinm 11–13, 15–18 et al. als neunversig (mit Waise in V. 8) und versteht die beiden Gruppen als ›Gegenstücke‹ zueinander. Kritisch dazu Vogt, hier insbesondere S. 208f.

Inhalt: Die Strophen von C Reinm 11–19 et al. sind überwiegend topisch, zugleich je für sich relativ geschlossen.

C Reinm 11–19 lässt sich als klassische Minneklage lesen: Der Sprecher reflektiert in der ersten Strophe über die Freude derjenigen, denen Liebesglück widerfährt. Sie zeichnen sich durch ihre Beständigkeit aus, und so hofft der Sprecher selbst (bei anhaltender Beständigkeit im Dienst) auf dieselbe Freude. Obwohl er seine Geliebte oft gesehen hat, führt die zweite Strophe aus, hat er sie nicht angesprochen, doch nicht aus Schüchternheit, sondern weil er keine Hoffnung auf Erhörung hatte. Die dritte Strophe setzt mit der Erinnerung an die Zeit ein, zu der er (doch?) das Wort ergriffen und um sie geworben hat. Seine Erwählte wurde zu seinem Leben, doch brachte ihm das nur Leid. Nun will er einen Weg finden, der ihm besser zustattenkommt (»im Dienste der göttlichen Minne?«, Schweikle, S. 316).

In der vierten Strophe (C Reinm 14) klingt das Moment der Freunde an, statt um Minneklage geht es um das Urteil der Gesellschaft: Immer hat sich der Sprecher nach den Geboten der Leute gerichtet, doch waren sich diese nicht einig: Einer verspottete das ›hohe Herz‹ des Ichs, ein anderer hielt diese Freude für ehrenvoll. Unsicher darüber, was zu tun wäre, wünscht sich der Sprecher wisheit unde sin (IV,8). Im Gegensatz dazu präsentiert sich der Sprecher in der fünften Strophe voller Freude und ohne Furcht vor Spott.

Die Macht der Geliebten über die Sinne des Sprechers steht im Mittelpunkt der nächsten beiden Strophen (VI und VII): Er leidet, wenn er sie nicht sieht; doch so maßlos, wie er sie liebt, lebt sie nicht nur in seinen Gedanken, sondern tiefer als (nur) im Herzen. Dass er ihr seinen sin (VII,1) verlie (VII,2), bereut er nicht. Sie hat ihm einen Gruß gewährt und er versichert ihr dafür ewigen Lohn. In der achten Strophe lobt er sie als Freude bringendes Geschenk Gottes und hebt ihrer beider Beständigkeit hervor.

In der abschließenden Strophe IX fasst der Sprecher den Entschluss, seine Geliebte um etwas zu bitten, selbst wenn sie ihm deshalb zürnen sollte. Die Art der Bitte und die Reaktion der Dame überlässt der Dichter der Imagination des Publikums.

Dadurch, dass die A-Fassung der Gruppe I mit dem freudigen Frauenpreis als Parallelüberlieferung zu C VIII endet (A Reinm 33) und mit der ebenfalls die Freude besingenden Parallelüberlieferung von C V einsetzt (A Reinm 28), erhält das Lied dort einen fröhlicheren Grundton. Zudem liegt in A durch die Auswahl und Zusammenstellung der Strophen ein stärkeres Gewicht auf der Beständigkeit (A II, V und VI). In B steht die Rede zur Geliebten im Mittelpunkt: erst das Schweigen des Sprechers (B II), dann seine Werbung, die ihm nur Leid brachte (B III), schließlich der Entschluss, seine Geliebte (erneut) anzusprechen (B V). Die drei­stro­phige E-Fassung der Gruppe I lässt sich wiederum durch die Endstellung von E III (Parallelüberlieferung zu C III) als Absage an die Minne lesen: Hat der Sprecher in E II noch die Beständigkeit der Glücklichen gelobt, wendet er sich in E III von seiner Vergangenheit als Werber ab und einem neuen Leben zu.

Die vier­stro­phige Fassung A Wa 24–27 / C Wa 359–362 der Gruppe II bietet dagegen einen Wechsel, wobei die Sprechposition der ersten Strophe (Parallelüberlieferung zu C Reinm 14) mehrdeutig ist. Sie kann als Frauenstrophe aufgefasst werden, dann ähnelt sie den dilemmatischen Monologen der reinmarschen Frauen­stro­phen (vgl. dazu auch Hausmann, S. 297). Boll, S. 391–393, sieht in C Reinm 11–19 nur Männer­stro­phen, in den Parallelüberlieferungen von C Reinm 14 unter Walther liege die Lesart der ersten Strophe als Frauenstrophe näher. Die Entscheidung, in der vorliegenden Edition nur die Wa-Überlieferung als Frauen­stro­phen zu markieren, soll auf diesen möglichen Wechsel der Sprechpositionen hinweisen.

In der zweiten Wa-Strophe (C Wa 360 et al.) spricht eine (eindeutig) weibliche Stimme von demjenigen, der ihr dient, und beklagt, dass sie nicht wisse, ob sein Werben aufrichtig sei. Derjenige, der ihm ins Herz sehen kann (Gott?), möge ihr Rat geben.

Es folgen zwei Männer­stro­phen: Wenn sein Dienst zum Erfolg führt, so der Sprecher, wird seine Dame ihm einen Wunsch erfüllen. Er wird weiter um sie werben, auch wenn sie ihm wegen seiner Bitte zürnen sollte (was an C Reinm 19 et al. erinnert) und obwohl er durch die Zurückweisung Leid empfindet.

Das zwei­stro­phige Lied C Wa 254f. bewahrt die zweite und vierte Strophe von Gruppe II, ist also ebenfalls ein Wechsel.

Der drei­stro­phigen E-Fassung wiederum (E Reinm 120–122) fehlt mit der zweiten Strophe der Gruppe eine (eindeutige) Frauenstrophe, sie ist damit auch als Minneklage ohne Sprecherwechsel lesbar (s. Interpunktion der Edition).

Sandra Hofert

Kommentar veröffentlicht am 12.11.2024.
Gehört zur Anthologie: Minne- bzw. Werbelied
 A Reinm 28 = MF 153,5Zitieren
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Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 2v
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 I
 
 A Reinm 29 = MF 153,14Zitieren
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 II
 
 A Reinm 30 = MF 153,23Zitieren
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 A Reinm 33 = MF 154,23Zitieren
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