Überlieferung: In C sind zwei Frauenstrophen sowie – optisch unverbunden damit – eine fast tongleiche Gesprächsstrophe zwischen Ritter und Wächter überliefert. Der C-Schreiber hielt zwar die zunächst eingetragenen Str. VI und VII offenbar für ergänzungsbedürftig, da er danach Platz für eine weitere Strophe freiließ. Die etwas später abgeschriebene Str. XIV zog er allerdings nicht zu diesem Ton. von Kraus’ textkritische Entscheidung, die beiden Teile als ein irrig zertrenntes Wächterlied aufzufassen, wurde im Nachhinein durch den Fund der späten Prager Abschrift bestätigt. Die Strophen »wurden auseinander gerissen, weil die Zäsurreime in [C 14] einen abweichenden Ton vortäuschten und man die Zäsurstellen als Versschlüsse ansah« (von Kraus, S. 368). Zu p vgl. den separaten Kommentar.
Form: Kanzonenstrophe 3x+3a .6b / 3x+3a .6b // (.)6c 6c (.)5d 4d. Die zahlreichen Irregularitäten dürften auch der Überlieferung zuzuschreiben sein. Den tektonisch sicher zu bevorzugenden fünftaktigen Schlussvers, wie ihn Ranawake, S. 283, ansetzt, zeigt nur Str. C 6. Die mutmaßliche Eingangsstrophe C 14 dürfte einmal dem prinzipiell selben Schema gehorcht haben, zeigt aber mit dem Zäsurreim im Aufgesang eine höhere Reimdichte (hypothetisch: 3a+3b .6c / 3a+3b .6c // 6d .6d .5e .4e). Ihre Überlieferung ist in metrischer Hinsicht so sehr gestört, dass die beiden Stollen voneinander divergieren: V. 4 ist um einen Takt zu lang. Der Anvers von V. 3 ist wiederum unterfüllt.
Inhalt: Die Dialogstrophe C 14 gestaltet eine Situation, die zum erweiterten Motivkreis des Tageliedes gerechnet werden kann, nämlich den Einlass eines Ritters zu seiner Dame. Der angeredete Wächter gibt mit seiner Bemerkung über das ›ein wenig zu lange‹ Ausbleiben des Mannes den Ton der beiden weiteren Strophen vor. In den Strophen C 6 und C 7 spricht eine Frau ihren Geliebten direkt an, zunächst in der Situation der Begrüßung (bis mir willekomen, I,1), dann in der Situation der Umarmung (II,2). Beide Reden sind ungeachtet der Glücksbekundungen (erlost us sorgen I,3f.; fro II,1) von einem Ton der Klage und des Vorwurfs durchzogen: der Mann habe ihr durch seine Abwesenheit Grund zum Zweifeln gegeben und sie vergessen (I, 5–8). Die zweite Strophe beginnt wie die erste mit einem Bekenntnis des Liebesglücks, das dennoch der Zweifel subtil unterwandert: Sie weiß nicht, ob der Geliebte genauso fühlt wie sie (II,3), erinnert ihn an seine Liebesbeteuerung (II,4) und die Hingabe ihrer Unberührtheit (II,5f.) sowie die zahlreichen durchklagten Nächte, in denen sie sich nach ihm sehnte (II,7f.). Die Tageliedassoziation wird subtil mit dem letzten Versschluss aufgegriffen (gegen dem tage, II,8), wobei die von der Frau erwähnten Tagesanbrüche zu den von ihr einsam verbrachten Nächten gehören. Ob man in diesen verbalen Spitzen des Wächters und der Frau einen sarkastischen Ton hören darf, ist kaum eindeutig zu entscheiden.
Zu p vgl. den separaten Kommentar.
Sonja Glauch