Autor
Graf Otto von Botenlauben gehörte dem in Thüringen und Franken begüterten und einflussreichen Geschlecht der Henneberger an. In Urkunden erscheint er zunächst (ab 1196) als comes de Henneberg, später (zuerst 1206) als comes de Botenlouben nach der Burg Botenlauben bei Kissingen. Wie sein Vater Poppo VI. ist er am staufischen Kaiserhof nachgewiesen; eine 1197 von ihm bezeugte Kaiserurkunde ist in Sizilien ausgestellt, woraus man die Teilnahme Ottos am Kreuzzug Heinrichs VI. schließen kann. Im Heiligen Land vermählte er sich (um 1206/08?) mit Beatrix, einer Tochter des Seneschalls von Jerusalem, Joscelin III. von Courtenay. Urkunden der Folgezeit weisen ihn sowohl in Syrien (1208, 1220) als auch in Deutschland (1206, 1209, 1219) nach. 1220 verkaufte er die syrischen Besitzungen an den Deutschen Orden und kehrte nach Franken zurück. Das spätere Leben des Paares ist von Weltabkehr geprägt. Nachdem seine sämtlichen männlichen Erben in den geistlichen Stand eingetreten und die Linie damit erloschen war, stiftete er zusammen mit Beatrix 1231 das Zisterzienserinnenkloster Frauenroth bei Kissingen und veräußerte 1234 die Burg Botenlauben an das Bistum Würzburg. Otto lebte im Juli 1244 noch; im Februar 1245 wird Beatrix als Witwe genannt. Die Grabtumba des Gründerpaares befand sich im Chor der Klosterkirche. Heute sind davon nur die Liegefiguren erhalten, die zu den bedeutendsten Leistungen der skulpturalen Kunst des 13. Jhs. in Deutschland zählen könnten, wenn sie nicht so stark beschädigt und überarbeitet worden wären.
Ottos dichterische Tätigkeit fällt mutmaßlich in den Zeitraum 1195 bis 1210. Sowohl in Italien als auch in Syrien wird er Bekanntschaft mit provenzalischer Lyrik gemacht haben (Ranawake, S. 341). Als Dichter findet er nur bei dem Bamberger Hugo von Trimberg in dessen ›Renner‹ (V. 1179ff.) im späten 13. Jh. Erwähnung (Schweikle, S. 28), was für zumindest lokalen Nachruhm spricht. In den beiden bebilderten Liederhandschriften (B und C) ist Otto mit dem hennebergischen Wappen (geteilter Schild mit wachsendem Doppeladler und geschachter unterer Schildhälfte) abgebildet, das er auch selbst zwischen 1221 und 1234 als Wappensiegel benutzte.
Überlieferung
Die drei alten Liederhandschriften A, B und C überliefern Lieder unter Ottos Namen. Ein Tagelied fand auch Verbreitung außerhalb dieser Autorsammlungen, da es schon viel früher durch den Codex Buranus belegt (s. unten) und in A dem Dichter Niune zugeschrieben ist. Die Sammlungen in B und C stehen sich sehr nahe und gehen auf eine gemeinsame Quelle *BC zurück, vgl. auch die Korpuskommentare. Die Zuschreibungsdifferenz zwischen B und C für B Botenl 9 10 / C Mezze 1 2 könnte dadurch erklärt werden, dass eine gemeinsame Vorlagenhandschrift das Lied als ein Kleinkorpus mit eigener Überschrift nach dem Botenlauben-Korpus stehen hatte (Kornrumpf, S. 14). Es wäre dann in einer Abschrift zwischen *BC und B die Überschrift übersehen und das Lied dem vorausgehenden Korpus zugeschlagen worden. Zu bedenken bleibt: Walther von Mezze ist in B nicht enthalten; Mezze gehört aber in C zum Grundstock-Segment C, genauer CB, wo eigentlich in der Umgebung (Herrenlagen) lauter B-Korpora stehen. Folglich könnte das Lied in *BC doch ein kleines Mezze-Korpus repräsentiert haben.
Das Lied, das den Auftakt des A-Korpus bildet (A Botenl 1 2), dürfte recht sicher Rubin zum Verfasser haben. Das Auftauchen einer Botenlauben-Strophe in einem von A dem Markgrafen von Hohenburg zugeschriebenen Lied (A Hoh/32v 1 2) könnte parodistisches Weiterdichten bezeugen.
Ein Wächterlied (p Namenl 23–26) erscheint in sehr veränderter Form und ohne Dichternennung in einer kleinen Gruppe weltlicher Lieder, die in die lat. Sammelhandschrift p (Schlesien, Ende 14. Jh.) aufgenommen wurden. Unter diesen Liedern ist es das einzige, das ältere Parallelüberlieferung hat und einem Autor zugeschrieben werden kann.
Werk
Ottos von Botenlauben Œuvre umfasst einen Leich und 13 Minnelieder. Mit Kuhn, S. 81f., und Ranawake, Sp. 210f., lassen sich Ottos Lieder inhaltlich und formal in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe enthält einstrophige, kurzversige Lieder in schlichtem Strophenbau (sämtlich Zweiversstollen); einige Strophen darunter sind durchgehend vierhebig (C Botenl 1, C Botenl 2, C Botenl 15). Als erweiternde Abwandlungen dieses Typus wird man zwei Einzelstrophen begreifen, die nach Vierhebern einen Sechsheber am Stollenschluss (C Botenl 11) bzw. überwiegend Fünfheber (C Botenl 12) zeigen. Etwas weiter entfernt sich von dieser einfachen Form ein mehrstrophiges Lied (C Botenl 8 9 10 17 18), das aus durchgereimten Fünfhebern besteht, wobei der Schlussvers um zwei Hebungen erweitert ist. In all diesen Liedern artikuliert sich die männliche Stimme.
Vier Tagelieder (C Botenl 3 4 5, C Botenl 14 et al., C Botenl 19 20 21 et al., C Botenl 22 23) zeigen dagegen komplexeren Bau mit ungleichtaktigen Versen, teils mit Dreiversstollen, Langzeilen, Binnenreimen und (einmal) Refrain. Auch eine Frauenstrophe (C Botenl 13) gehört nach ihrer Bauform zu dieser Gruppe.
Das nur in B dem Dichter zugeschriebene Lied B Botenl 9 10 reiht sich in keine dieser Gruppen ein, seine Form ist allerdings auch wenig vertrauenerweckend überliefert. Nimmt man die zweifelhafte Zuschreibung (s. oben) dazu, darf man das Lied Otto wohl mit Recht absprechen.
Ottos Lyrik trägt Züge, die sie im deutschen Minnesang der Jahre um 1200 eher altertümlich erscheinen lassen. Dazu gehört der große Anteil einstrophiger Lieder (s. o.) ebenso wie die wenig geregelte Verseingangsgestaltung (Vogt, S. 209). Ranawake, Sp. 211, warnt jedoch davor, diese Züge überzubetonen. Huschenbett, S. 235, weist darauf hin, dass das Auftreten von Personifikationen als Adressatinnen des Ichs (Aventiure C Botenl 1, Frau Minne [und Frau Freude?] C Botenl 15) in der deutschen Minnelyrik vor Walther von der Vogelweide nicht gebräuchlich ist. Insbesondere der Leich kann formal als fortschrittlich gelten; nach Kuhn, S. 81, ist er der erste deutsche Minneleich, der »die später in Frankreich häufige, freie lai-Form [zeigt]«, und sei mit dieser Versgestaltung zum Vorbild für Ulrich von Winterstetten geworden. So könnte Ottos literarhistorische Rolle auch in der Vermittlung romanischer Formen gelegen haben. Auch der Refrain im Tagelied C Botenl 19 20 21 et al. wird zu diesen romanischen Anleihen zu rechnen sein.
Mit vier Liedern nimmt das Tagelied einen gewichtigen Anteil in Ottos Œuvre ein. Neben ›klassischen‹ Wächtertageliedern (C Botenl 3 4 5, C Botenl 19 20 21 et al.) steht ein Erzähl- bzw. Frauenlied aus der Perspektive der einsamen Frau (C Botenl 22 23) und ein Gesprächslied, das die beginnende nächtliche Zweisamkeit darstellt (C Botenl 14 et al.). Gerade der Einsatz der Wächterfigur erlaubt die ausgeprägte Variation der Perspektiven und Sprechsituationen, die die beiden letztgenannten Lieder auszeichnet. Gemeinsam ist den vier Liedern nicht die Tageliedsituation, sondern das Wächtermotiv; es wäre vielleicht prägnanter, sie als Wächterlieder zusammenzufassen. Ob Otto in der Gestaltung seiner Tagelieder ein Nachahmer Wolframs ist, weil dieser zumeist als derjenige gilt, der die Wächterfigur ins deutsche Tagelied eingeführt habe, oder ob im Gegenteil Ottos Lieder die älteren sind, die Wolfram beeinflusst haben, wird sich nicht leicht entscheiden lassen. Weigand, S. 90, plädiert insbesondere, weil Otto die »bei Wolfram so zentrale[] urloup-Thematik« nicht aufgegriffen hat, eher für »Otto als den Früheren«. Umgekehrt hat man auch Ottos Tagelieder als bewusste Gegenentwürfe zu Wolframs »radical dawnsong ideology« gesehen (Sager). In jedem Fall leistete er »einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zum Typus ›Tagelied‹ und seiner Variation« (Huschenbett, S. 215); zeitgleich mit Wolfram räumt auch er der Gattung einen prominenten Platz innerhalb des Minnesangs ein.
Als Kontrafaktur bemerkenswert ist die Entsprechung zwischen Ottos dreistrophigem Refrain-Tagelied und einem fünfstrophigen lateinischen Kreuzlied mit Refrain, das im Codex Buranus zusammen mit einer Strophe von jenem überliefert ist (M Namenl/13v 1–6 = CB 48). Auch wenn sich kaum zweifelsfrei entscheiden lässt, welches der beiden Lieder Prätext für das andere war, spricht doch sehr vieles für das weltliche Lied als das ältere. Die Referenzverschiebung des Refrains zwischen säumigem Liebhaber und Auferstehung (stant uf, riter! – exurgat deus) ist in jedem Fall erstaunlich.
Sonja Glauch