Autor
In der ersten Hälfte des 12. Jh. geboren, stammt Heinrich von Veldeke wahrscheinlich aus dem damaligen limburgischen Ort Veldeke und gehört vermutlich einem Ministerialengeschlecht der Grafen von Loon zu. Genaues zu seiner Ausbildung ist nicht bekannt, seine Werke zeugen aber von einem hohen Bildungsniveau. Rückschlüsse auf seine Biographie werden insbesondere durch Aussagen im ›Eneasroman‹ ermöglicht; so gilt beispielsweise seine Teilnahme am Mainzer Hoftag 1184 als gesichert (vgl. Kartschoke, V. 13221–13252) (zu Veldekes Leben vgl. beispielsweise Malm, Sp. 97, sowie Wolff, Sp. 899f.).
Bereits im Mittelalter wird Heinrich von Veldeke als Epiker und Lyriker gepriesen, so heißt es beispielsweise im ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg: von Veldeken Heinrîch / der sprach ûz vollen sinnen; / wie wol sanc er von minnen! (Haug/Scholz, V. 4726–4728) (weitere Belege geben Schweikle sowie Touber: ›Die Strophenformen der Lyrik‹, S. 378f.).
Überlieferung
Korpusübersicht
Überliefert ist das Veldeke-Korpus in A, B und C. In der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift finden sich ihm zugeschriebene Lieder an zwei Stellen: Zehn Strophen sind an 22. Stelle unter dem Namen Heinrich von Veltkilchen überliefert (Veld/32r), sieben Strophen werden an 24. Stelle unter Heinrich von Veltkilche geführt (Veld/33r), wobei A Veld/33r 1 und 2 unikale Überlieferungen sind.
In der Weingartner Liederhandschrift umfasst das Korpus 48 Strophen, die unter Maist͛ Hainrich ū Veldeg geführt werden; in der Großen Heidelberger Liederhandschrift sind 61 Strophen unter Her Heinrich von Veldig zu finden, wobei die ersten 48 Strophen weitgehend in Übereinstimmung mit jenen in B überliefert sind. Das Veldeke-Korpus ist in C Teil der sogenannten ›Ursammlung‹ und gehört als solcher zum Grundstock-Segment A, wobei die letzten vier Strophen (C 58–61) spätere Nachträge sind (vgl. Henkes-Zin S. 33, 103).
Die handschriftlichen Überlieferungszeugen zeigen eine oberdeutsche Sprachform mit punktuell niederdeutschen Momenten – in BC insbesondere im Reim, in A auch im Versinneren. Gelegentlich mischen sich hoch- und niederdeutsche Formen im Reim. In der normalisierten Ansicht der vorliegenden Edition sind die Reimwörter in Zweifelsfällen in handschriftlicher Lesart belassen; Anmerkungen zu Besonderheiten der Realisierung finden sich im Apparat 3 bzw. im Liedkommentar.
Frings/Schieb vermuten, dass die Lieder Veldekes ursprünglich in einer altlimburgischen Sprachform verfasst worden sind, und versuchen ihren Wortlaut zu rekonstruieren. Dieses Vorgehen wurde in der Folge insbesondere aufgrund fehlender Beweisbarkeit immer wieder kritisiert (vgl. beispielsweise Bein, S. 357–359, oder Tervooren). MF/MT haben sich für einen Paralleldruck entschieden (zur Begründung vgl. MF/MTE, S. 80).
Die Miniaturen
Die Miniatur in der Großen Heidelberger Liederhandschrift scheint vom ersten in C überlieferten Lied angeregt zu sein: Die Natur blüht, die Vögel singen, doch das Ich quält sich mit Minnesorgen. Dieses Ich wird im Autorbild mit Heinrich von Veldeke überblendet. Er ist umgeben von einer lebendigen Natur und sitzt in einer an Walther erinnernden Pose auf der linken Bildseite – eine Körperhaltung, die traditionell nicht für Trauer oder Betrübnis steht, sondern auch Ausdruck des Denkens und damit einer schöpferischen Tätigkeit sein kann. Mit einem Zeigegestus verweist die Figur auf ein Schriftband und macht so deutlich, dass der Kontrast von aufblühender Naturfreude und in sich gekehrtem Minneleid poetisch produktiv wirkt (vgl. zu der Miniatur auch Touber: ›Heinrich von Veldekes Natureingang‹, S. 88–90, sowie Walther, S. 32f.).
Eine ähnliche Komposition bietet die Weingartner Liederhandschrift. Bemerkenswert ist, dass die Figur hier mit einem rot-goldenen Gewand dargestellt wird, welches damit die gleichen Farben zeigt wie das im Codex Manesse abgebildete Wappen Veldekes. Eine historische Zuordnung des Wappens ist allerdings nicht gesichert (vgl. dazu Schieb, S. 1f.).
Forschungsdiskussion um Echtheit und Liedzusammenhänge
»Die Echtheit mancher Strophen ist in der Forschung [...] ebenso umstritten wie die Gruppierung der Strophen zu Liedern« (Malm, Sp. 98). Insbesondere in der älteren Forschung lassen sich zahlreiche Athetesen erkennen: MF/LH erklären große Teile der ersten Überlieferungsgruppe in A für unecht (Veld/32r 3–10) sowie die nicht durch die Parallelüberlieferung in B gestützten Strophen in C (C 49–61) (wobei A Veld/32r 3 4 Parallelüberlieferungen zu C Veld 49 50 sind, A Veld/32r 5, 6, 8–10 stehen in BC unter Dietmar). MF/V sowie MF/K, Frings/Schieb und schließlich Thomas erklären immer mehr Lieder und Strophen für unecht. Eine Übersicht sowie eine kritische Auseinandersetzung mit jenen den Athetesen zugrunde liegenden Kriterien bietet Bein, S. 357–366.
Ein zentraler Kritikpunkt, der gegen Frings/Schieb und insbesondere Thomas vorgebracht wurde, besteht in der Orientierung an einem konstruierten Dichterbild; so äußert bereits Klein Kritik an der »methodisch fragwürdigen Grundregel« (S. 91), »daß nicht gegebenenfalls die Unechtheit, sondern in jedem Falle die Echtheit einer Strophe positiv nachgewiesen werden müsse« (ebd.).
Unstrittig scheinen jene Athetesen von Veldeke-Strophen, welche in Parallelüberlieferungen unter anderen Dichternamen geführt werden (A Veld/32r 5–10 sowie C Veld 52, 58–61). MF/MT verweisen bezüglich A Veld/32r 5–10 auf Dietmar von Aist, bei C Veld 58–61 auf Ulrich von Liechtenstein. Unter ›Pseudo-Veldeke‹ aufgeführt werden C Veld 49–57.
Neben der Echtheitsbewertung ist auch die Frage der Liedbildung umstritten: In den Editionen fällt die große, obgleich variierende Zahl von Einzelstrophen auf. MF/MT beispielsweise fassen die Strophen in insgesamt 37 Liedern zusammen, vier davon unter ›Pseudo-Veldeke‹, wobei teilweise auch nicht direkt aufeinanderfolgend überlieferte Strophen wie BC Veld 15 und 35 sowie BC Veld 16 und 40 zu einer Liedeinheit verbunden werden. Schweikle ordnet die Strophen wiederum in 40 Liedern an, hebt aber hervor, dass »bei Veldeke die Strophe in ihrer metrischen Form, in ihrem Textbestand und in der Kombination mit anderen Strophen zu einem Lied weniger fixiert war, als in der älteren Forschung gewöhnlich angenommen wird« (S. 418).
Eine zentrale Schwierigkeit bei der Frage nach der Liedeinheit von hintereinander überlieferten Strophen liegt in den Überlieferungsvarianten: Insbesondere beim Vergleich der Parallelüberlieferungen in B und C fällt auf, dass in C eine Tendenz zur Mehrstrophigkeit erkennbar wird. Die Unterschiede zwischen B und C wirken »auf die formal-metrische Struktur der Strophen stets derart, dass Strophen, die in B ihrer Form nach den Charakter von Einzelstrophen haben, in C [auch durch den Wechsel der Initialfarbe, S. H.] als Liedstrophen gekennzeichnet sind« (Henkes-Zin, S. 105). Dabei ist es im Einzelfall nicht entscheidbar, ob eine ursprüngliche Liedeinheit in B stärker gestört worden ist oder ob eigentliche Einzelstrophen in C zu einer Liedeinheit verbunden wurden; die Koinzidenz aller Fälle jedoch lässt vermuten, dass im Übergang von *BC zu C Strophenzusammenhänge hergestellt worden sind (vgl. den Korpuskommentar C).
Ausschlaggebend für die vorliegende Edition sind v. a. die formalen Merkmale der Strophen. Das bedeutet, dass Strophen, bei denen insbesondere in C eine Tendenz zur Liedeinheitsbildung erkennbar wird und gleichzeitig Tonvarianzen deutlich bleiben, primär als Einzelstrophen verstanden, sekundär als Liedeinheit gefasst werden. Durch die Orientierung am jeweiligen Überlieferungszeugen können diese Entscheidungen für die Parallelüberlieferungen unterschiedlich ausfallen.
Werk
Die Frage nach der Veldek’schen ›Sonderstellung‹
In welchem geographischen Raum sein Werk entstanden ist, bleibt umstritten: Veldeke wurde oft eine Sonderstellung innerhalb der mhd. Lyrik zugesprochen. Mit der Bemerkung: »[d]en schon sprachlich abseits stehenden Niederrheiner Heinrich von Veldeke nehmen wir für sich« leitet de Boor, S. 251, sein Kapitel zu Veldeke ein; Schieb vermutet, es sei »mit einer bodenständigen limburgisch-brabantischen lyrischen Tradition zu rechnen, die Heimisch-Volkstümliches mit Lateinischem, Französischem und Provenzalischem auf eigene Art verschmolz« (S. 30). Tervooren plädiert für eine Erweiterung der Perspektive: Auch er spricht Veldeke eine Sonderstellung zu, aber eine, »die keine Züge von provinzieller Enge hat, sondern geprägt ist von der interkulturellen Weite eines mehrsprachigen Kulturraums« (S. 219). Er verortet Veldekes Dichtung allgemein im Maas-Rheingebiet und hebt die dortige Zweisprachigkeit der adligen Gesellschaft hervor.
Von anderer Seite wird Veldeke enger mit dem ›Rheinischen Minnesang‹ in Verbindung gebracht. Mertens, S. 52, verortet ihn konkret am Thüringer Hof; Willaert: ›Van luisterlied tot danslied‹, S. 65–73, sieht ihn insbesondere im Umkreis des Stauferhofes. Doch appelliert er zudem, »keine Opposition zwischen einer maasländischen (niederländischen) und einer thüringischen (hochdeutschen) Periode in Veldekes Leben zu postulieren« (Willaert: ›Heinrich von Veldeke und der frühe Minnesang‹, S. 47); er geht – sowohl bei Veldeke und seiner Dichtung als auch bei seinen Rezipienten – von einer hohen Mobilität aus (vgl. Willaert: ›Zwischen dem Rotten und der Sowe?‹, S. 323; Willaert: ›Heinrich von Veldeke und der frühe Minnesang‹, S. 56).
Formal wie inhaltlich ist der Einfluss französischer Lyrik deutlich, auch wenn direkte Kontrafakturen umstritten sind (vgl. dazu z. B. Aarburg, S. 389; Bastert, S. 326; Waesberghe: ›De melodieën‹; Waesberghe: ›Der mittelalterliche Sänger‹; Schnell, S. 136; Spanke, S. 289–299). Formal lassen sich neben den Einzelstrophen, welche von den romanischen Coblas beeinflusst sein könnten (vgl. Bastert, S. 331), mehrstrophige Kanzonen nach französischem Vorbild finden (vgl. dazu z. B. Touber: ›Die Internationalisierung des Minnesangs‹, S. 278f.), wobei Veldeke »der Kanzone in seinem Liedcorpus aber trotzdem keine besondere Präferenz einräumte« (Bastert, S. 323). Auch inhaltlich spricht »das häufige Anzitieren verbreiteter Motive und Themen für eine souveräne Kennerschaft der romanischen Liebeslyrik« (Schnell, S. 135). Motive werden spielerisch aufgegriffen und teilweise ironisch gebrochen, was den Schluss zulässt, dass »Veldekes Publikum, im Grenzbereich zwischen Germania und Romania, mit der romanischen Liebeslyrik bereits vertraut war und den ironischen Umgang mit den fremdsprachigen Mustern goutieren konnte« (Schnell, S. 135). Zu inhaltlichen Parallelen mit der Lyrik der Troubadours und Trouvères vgl. auch Touber: ›Heinrich von Veldekes Natureingang‹.
Zykluskonstruktionen, Inhalte und Motive
Die frühere Forschung setzte sich zudem mit der Frage nach Struktur und Zyklusbildung auseinander: Schieb, S. 25–28, gliedert das Korpus in Sprüche, Tanzlieder und höfische Minnelieder, wobei sie der Ordnung ein Entwicklungsnarrativ unterlegt und die Minnelieder als ›Höhepunkt‹ seines Dichtens versteht. Ähnlich fasst auch Thomas, S. 162, die Lieder zusammen in eine Liedgruppe, einen Spruchabschnitt, eine Tanzliederpartie und eine gemischte Gruppe. Zur Zykluskonzeption bei Veldeke vgl. auch Weindt. Diese Ordnungsvorschläge geben verschiedene Möglichkeiten der Strukturierung; im Einzelfall zeigt sich jedoch, dass die Lieder oft inhaltlich und formal mehrdeutig sind und sich mehreren (weiteren) Gruppen zuordnen ließen.
Auffällig ist insbesondere das Nebeneinander von Strophen, die verschiedene Topoi der Minnelyrik aufgreifen (wie die Verbindung von Naturdarstellung und Stimmung des Ichs, die Fernliebe, die Minneklage, das Minneparadoxon mit der Dienst- und Lohnfrage) einerseits und gnomischen Strophen andererseits (zu den spruchhaften Strophen vgl. insbesondere Brem, S. 111–132). »Damit tritt neben den ›romanisierenden‹ Minnesänger Veldeke ein ›deutscher‹ Sangspruchdichter Veldeke« (Schnell, S. 136). Doch ist es nicht nur ein Neben-, sondern vielmehr ein enges Mit- und Ineinander. So hat Lieb etwa am Beispiel von BC Veld 16 und 40 gezeigt, wie Veldeke »aus fast identischem Wortmaterial sowohl Minnesang als auch Sangspruchdichtung« (S. 42) schafft.
Sprachspielerische Momente und poetische Freiheiten zeigen sich immer wieder in Veldekes Liedern. Tervooren konstatiert für etwa die Hälfte der unter Veldekes Namen überlieferten Strophen: »Ihre ästhetische Grundkategorie ist vielmehr das Spiel« (S. 209), sodass er die »Kategorie des Unernstes [als] das eigentliche Charakteristikum des Corpus« (S. 204) bezeichnet (vgl. dazu beispielsweise ferner Bastert; Paepe, S. 98–106; Schnell, S. 135; Willaert: ›Zwischen dem Rotten und der Sowe?‹, S. 321). Vor diesem Hintergrund kann auch nicht von einem einheitlichen, liedübergreifenden Minneverständnis gesprochen werden; vielmehr zeigt sich ein Wechsel von Konventionen und ein Spiel mit Rollen. Auffällig ist, dass die Erhörung des minnenden Ichs oft als möglich bzw. bereits erfolgt präsentiert wird, wobei – insbesondere im Vergleich zu etwa den Carmina Burana – »die geschlechtlich-sexuellen Aspekte eines Minneverhältnisses bei Veldeke allerdings in weit weniger direkten Metaphern beschrieben« (Bastert, S. 330) werden. Ein zentraler Begriff in diesem Kontext ist das umbevâhen (vgl. BC Veld 1–4, 12–14 sowie A Veld/33r 3–7 / BC Veld 5–7).
Als Schlagwort mit metareferenziellem Potential bezeichnet Lembke, S. 249–254, das mehrfach von Veldeke neben vröude verwendete Wort blîdeschaft. In diesem spiegele sich nicht nur mittelniederländisches Kolorit, sondern eine eigene, mit Freude verbundene Minnekonzeption, welche unter anderem die Traditionen von Tagelied und Hohem Sang spielerisch zusammenführe und auf einer poetologischen Metaebene zum Nachdenken über die Minne als literarisches Motiv anrege. So erhalte blîdeschaft auf jener Metaebene die Bedeutung »Freude an Dichtung« (S. 269).
Die in den Liedern häufig vorzufindende Verbindung von wahrer Minne und Freude führt Kasten, S. 252, wiederum zu einem Vergleich von Veldekes Minneauffassung mit dem Ideal des sapienter amare bei Andreas Capellanus: »Unter die Kontrolle der Vernunft gestellt und an ein ethisches Prinzip gebunden, wird die Liebe demnach der gesellschaftlichen Ordnung nicht gefährlich und verschafft blîdeschaft sunder riuwe« (S. 249). Auch Bastert sieht Parallelen zwischen Veldeke und Andreas Capellanus, begründet diese aber anders: Für ihn sind die verschiedenen Ironiesignale im Werk Veldekes Zeichen einer spielerischen Leichtigkeit, die dem »im Gewand scholastischer Logik vorgetragene[n], vorgeblich ernste[n], in Wirklichkeit aber unernst-spielerische[n] Traktat des Andreas Capellanus über die Liebe« (S. 340) ähneln.
Mit Parallelen der in den Liedern gezeichneten Minneauffassungen zu Veldekes epischem Werk setzen sich beispielsweise auseinander: Kasten, S. 252; Kistler; Maurer; Minis, S. 344–346; Oonk; Schröder und Weindt, S. 21–31.
Sandra Hofert