Autor
Rubin war ein Minnesänger des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich der 1. Hälfte des Jahrhunderts. Die historische Person hinter diesem Namen ist bis heute undeutlich geblieben. »Man hat in ihm einen Angehörigen des Tiroler Ministerialengeschlechts von Rubin/Rubein (bei Brixen) sehen wollen. Dichterkollegen verwenden Rubin (Robin) allerdings stets als Personennamen« (Knapp, S. 300). Wenn Rubin keine Herkunft, sondern eine Person bezeichnet, liegt es allerdings nahe, den Namen für einen angenommenen Künstler- oder Fahrendennamen (entweder nach dem Edelstein oder nach frz. Robin) zu halten, auch wenn das überlieferte Werk keinerlei Fahrendenmotivik und keine deutlichen Sangspruchanteile enthält. Die Identifizierung wird dadurch nicht erleichtert, dass die Jenaer Liederhandschrift ein kleines Sangspruchkorpus unter dem Namen Robyn überliefert, das sich allerdings auch landschaftssprachlich stark von der oberdeutschen Überlieferung unter Rubins Namen unterscheidet. Auch die Reimgrammatik der Rubin-Texte weist in den bairischen Sprachraum. Die Manessische Liederhandschrift enthält darüber hinaus ein separates Korpus von vier Minnestrophen unter dem Namen Rvbin vn̄ Rvͤdeger. Bisher bleibt es rätselhaft, wie sich seine textliche Zusammensetzung und namentliche Zuschreibung erklären (Sammlung eines oder mehrerer Nachsänger?, Bezug zu Rubin?).
Das Auftauchen des Namens Robin/Rubin in einigen Dichterkatalogen scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass Rubin im späten 13. Jahrhundert als kanonischer Minnesänger galt. Es liegt jedoch näher, diesen Namen auf den bereits genannten Spruchdichter Robin (Robyn) zu beziehen, unter dessen Namen J eine Sängernachrufstrophe überliefert und der folglich die spruchdichterische Tradition mitgeprägt hat, Totenklagen zur Kanonbildung und Darstellung literarhistorischen Selbstverständnisses zu nutzen.
Überlieferung
Unter den ›kleineren‹ Sängern des 13. Jahrhunderts ist Rubin seiner breiten Überlieferung wegen eine Ausnahmeerscheinung. Nach Walther und Neidhart gibt es nur sehr wenige Autoren, die in allen drei großen Minnesanghandschriften enthalten sind. Die Umrisse der anzusetzenden Vorstufen (der Quellen von A, B und C) sind deutlich schwerer zu ermitteln als bei anderen Œuvres von ähnlichem Umfang, und alle drei Handschriften zeigen Indizien dafür, dass die Abschrift in mindestens zwei Etappen aus mehreren Vorlagen kompiliert wurde; der erste Abschnitt der namenlosen Nachträge in A stammt geschlossen aus einem Rubin-Korpus. Dies spricht für eine breite und vielfältige Überlieferung im 13. Jahrhundert.
In relativ wenigen Fällen sind sich die Handschriften in der namentlichen Zuschreibung von Liedern uneins. In A sind zwei Strophen (≈ C 26 27) an den Anfang des Botenlauben-Korpus und eine Strophe (≈ B 1 = C 4) unter Gedrut geraten; in diesen Fällen spricht die anderweitige Bezeugung eindeutig für Rubin. A Wa 144–146 et al. muss außerhalb von C mehrfach als ein Lied Walthers von der Vogelweide überliefert worden sein, da es sowohl in A als auch in der späten Weimarer Liederhandschrift (f) in diesem Kontext erscheint. Auch eine in C für Walther belegte Strophe könnte in der Vorlage für die Nachträge in A unter Rubins Namen gestanden haben (A Namenl 21). Ein Lied (E Reinm 130–133) und eine isolierte Strophe (E Reinm 142) stehen in der Würzburger Liederhandschrift im letzten Abschnitt des Reinmar-Korpus. Dort sammeln sich Lieder und Strophen mit spärlichster Parallelüberlieferung; mit welchem Recht sie jeweils Reinmar zugeschrieben sind, ist ungewiss. Die ältere Philologie hat Reinmar die meisten davon abgesprochen. Inwieweit auch Rubin-Strophen oder ein Rubin-›Sound‹ Kristallisationskerne dieser nachleseartigen Sammlung (z2 nach Hausmann) gebildet haben könnten, wäre zu untersuchen. In den Strophen E 138 [350], 143 [355] (= Walther L 48,12), 150 [362] sind jedenfalls deutliche Rubin-Anklänge zu hören.
Werk
Die überlieferten Lieder bilden ein Œuvre von hoher Geschlossenheit und Homogenität. Den größten Anteil an den 21 Liedtönen haben Minnekanzonen, darunter zwei Kreuzlieder (A 13–16 et al. und A 17–19 et al.). Neben den Kanzonen stehen ein dialogisches Tagelied (A 7–12 et al.) und zwei oder drei Einzelstrophen mit Minnethematik (A 26, C 55, evtl. auch C 28–30). Rubin vertritt ein puristisches Konzept Hoher Minne und eine traditionsbewusste Auffassung von Minnesang. Er schließt sich der Generation um 1200 auch darin an, dass er die Frage nach dem ›richtigen‹ Singen und dem gesellschaftlichen Zweck des Minnesangs zu einem zentralen Thema seiner Lieder macht. Der Zustand der werlde wird daher wiederkehrend angesprochen, meist im Tenor der Klage über ihren Verfall. Dies lässt ebenso wie das häufige ›Singen über das Singen‹ vermuten, dass die Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Pragmatik der Minnesang-Kunst in diesem Werk deutlicher geführt wird als in anderen zeitgenössischen Œuvres. In dieselbe Richtung weist auch eine strukturelle Eigenheit von Rubins Liedern, auf die Kaiser die Aufmerksamkeit gelenkt hat: Einige Male zerfallen Liedtöne in reguläre mehrstrophige Lieder und thematisch unzugehörige Einzelstrophen, die wie Nachgedanken oder revocationes zu einem jeweils anderen Lied wirken (vgl. Komm. zu C 47–50; etwas anders auch A 13–16 et al.), bzw. beziehen sich Lieder explizit auf andere Lieder (vgl. Komm. zu C 8–11 et al., C 40–42 et al.). Inwieweit die aufgegriffene Publikumsreaktion, die darin impliziert wird, real oder fingiert war, lässt sich nicht entscheiden. Manifest ist nur, dass Rubin ein Modell der Gesprächssituation zwischen Dichter und Publikum in der Liedfolge selbst entwirft. Dass das Publikum eher eines von Connaisseuren gewesen sein dürfte, ergibt sich auch aus den dichten intertextuellen Verweisen auf Lieder Reinmars und Walthers. Eine Parteinahme Rubins in der früher gern als ›Fehde‹ betitelten Kontroverse zwischen diesen beiden Dichtern ist daraus jedoch kaum abzuleiten.
Rubin eifert seinem offenkundigen Vorbild Reinmar auch in der reflektierenden, abstrakt-programmatischen Haltung der meisten Lieder nach. Sie sind eher arm an Bildern und szenischen Entwürfen; nur die häufige Sommer- und Vogelsangmotivik könnte als Ausnahme gelten. Auch diese illuminiert aber vor allem die Singen-Freudespenden-Thematik. Anders als bei Reinmar spielt Frauenrede eine sehr geringe Rolle: Die beiden Kreuzlieder enthalten einmal eine nur in C überlieferte Frauenstrophe (C 66), einmal eine Aufforderung an eine Frau, einen Minnekasus zu entscheiden (A 16 = C 21). Die ›neuen‹ Stilmoden, die den Minnesang des 13. Jahrhunderts sonst stark prägen (Neidharts Dörper-Szenerien, Verkörperlichung im Frauenpreis, Allegorik), treten bei Rubin nirgends in Erscheinung.
Rubins Kunst ist Variationskunst par excellence. In enger Bandbreite, und ohne außergewöhnliche oder individuell stilbildende thematische Formate zu entwickeln, spielt er höchst gekonnt einen traditionellen Satz an Motiven und Gedanken immer wieder aufs Neue durch. Formal fällt ein intensiver Einsatz von begrifflichen Verkettungen – sowohl von Strophen zu Liedern als auch von Liedern untereinander – auf. Der Beurteilung der metrisch-musikalischen Form sind enge Grenzen gesteckt, weil keine einzige Melodie Rubins überliefert ist; auch Kontrafakturen wurden bislang nicht entdeckt. Kornrumpf, S. 296, hält Rubins Strophenkunst für deutlich anders profiliert als die Reinmars und Walthers, und zwar hinsichtlich der Verseingangsgestaltung, der Bevorzugung des Sechstakters neben dem Viertakter und der Binnengliederung der Kanzonenstrophen. Neben den zahlreichen Kanzonenstrophen (8- bis 12-versig) fallen eine nur vierversige Reienstrophe (C 32–36) und, je nach Deutung des Baus, eine strukturell komplexe Großstrophe (C 28–30) besonders auf.
Sonja Glauch