Überlieferung: Im Ersten Thüringerton, der in der Forschung auch als Leopoldston und Zweiter Atzeton bezeichnet wird, sind zunächst fünf Strophen in C überliefert, wobei die Strophe C Wa 37 teilweise am unteren Blattrand nachgetragen wurde. Eine der C-Strophen, C Wa 34, findet sich – zusammen mit einer weiteren tongleichen Strophe – in den namenlos überlieferten Liedanhängen von A. Die beiden Strophen sind auch insofern zusammengehörig, als es sich in beiden Fällen um Nachrufstrophen auf Reinmar handelt. Im Heiligenstätter Fragment W2 findet sich ein weiteres namenlos überliefertes Strophenfragment, die sog. ›Sibechstrophe‹, die für gewöhnlich dem Ersten Thüringerton zugerechnet wird, was aber aufgrund ihres fragmentarischen Charakters nicht zweifelsfrei zu entscheiden ist.
Form: .4a .4a .5-b / .4c .4c .5-b // .5-d .5-d .7e .5-f .5-f .7e .7e
Dreizehnzeilige Stollenstrophe; der Aufgesang entspricht dem des Wiener Hoftons und des Ottentons. Die Auftaktgestaltung ist bisweilen unregelmäßig; die lediglich in A überlieferte Reinmar-Strophe weist zahlreiche metrische Abweichungen auf.
Im Gegensatz zu anderen Tönen Walthers ist beim Ersten Thüringerton keine verbindende Thematik zu erkennen: Neben der typischen gnomischen Weisheitslehre finden sich Spottstrophen (die ›Atzestrophe‹), der Nachruf auf Reinmar und die Bitte, am Wiener Hof aufgenommen zu werden. Die ›Atzestrophe‹ (C Wa 33) wird meist auf die Wirkungszeit Walthers am Thüringer Hof datiert, da es sich bei Gerhart Atze um einen auch im Zweiten Thüringerton attackierten Ministerialen handelt (vgl. den Kommentar zu C Wa 125). Damit läge eine Datierung auf die Zeit um 1204/05 oder etwas später nahe (Reinmars Tod wird entsprechend auf die Zeit zwischen 1205 und 1210 datiert).
Die Forschung hat immer wieder versucht, den Ton in Spruchgruppen zu gliedern, und dabei teilweise auch die Strophenreihenfolge verändert. So werden etwa die Nachrufstrophen auf Reinmar häufig mit der Wienbitte zusammengestellt und als eine Art »Werbe-Triade« (Schweikle, S. 478) bezeichnet.
Björn Reich