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Der von Kolmas, ›Mir ist von den kinden da her min tage‹
R₁
R₁ Kolm 1
IR₁ Kolm 1 = MF 120,1
R₁ Kolm 2
IIR₁ Kolm 2 = MF 120,11
R₁ Kolm 3
IIIR₁ Kolm 3 = MF 120,21
R₁ Kolm 4
IVR₁ Kolm 4 = MF 121,3

Kommentar

Überlieferung: Die vier Strophen sind unikal in R1 überliefert. Sie bilden zusammen mit drei vorangehenden Reinmar von Zweter zugeschriebenen Strophen (R1 Zwet 1 und 2 sowie R1 Zwet 3) sowie einer Walther zugeschriebenen Strophe (R1 Wa/HofW 1) einen Lyrik-Anhang zum in der Handschrift vorausgehenden Schwabenspiegel.

Form: Es liegen zehnversige Stollen­stro­phen vor, wobei es auch möglich ist, die Strophen als vierzehnversige Stollen­stro­phen zu verstehen, mit einem zehnversigen Aufgesang. Hier wurde jedoch die Wiedergabe mit Binnenreimen gewählt, um die tendenziell durchgehende Versfüllung im Aufgesang sowie die Kanzonenform insgesamt deutlicher sichtbar zu machen.

Rhythmisch ging die ältere Forschung primär von einer daktylischen Lesart aus. Möglich wäre die Form (ohne Berücksichtigung der Auftakte):

2-a+2b 2-a+2b 4c / 2-d+2e 2-d+2e 4c // 4f 5f 4-g 5-g

Die daktylische Lesart ist jedoch mehrfach durchbrochen, weshalb Mertens, Sp. 39, und Brunner, S. 124, die Strophen alternierend verstehen:

3-a+3b 3-a+3b 6c / 3-d+3e 3-d+3e 6c // 6f 6f 6-g 6-g

(Wobei Brunner zudem alle Verse als zäsurierte Langzeilen sieht und bei fehlenden Binnenreimen Waisen ansetzt.)

Allerdings variieren sowohl bei der daktylischen als auch bei der alternierenden Lesart Auftaktgebungen und Versfüllungen, sodass die metrischen Formeln nur eine grobe Orientierung geben und die Festlegung auf eine konkrete Form letztendlich nicht möglich scheint.

Inhalt: Spruchhafte Altersklage mit memento mori-Thematik.

Das Lied setzt ein mit einer Altersklage: Unaufhaltbar ist das Älterwerden, bis der Tod das Leben schließlich wie ein Licht löscht. Erst der distanzierte Blick des Alters ermöglicht diese Erkenntnis, die wie bittere Galle im süßen Honig irdischer Ablenkungen verborgen ist.

Dem Ende des irdischen Lebens wird dann in der zweiten Strophe die Aussicht auf ein ewiges Leben entgegengestellt: Wer nach diesem strebt (wer sich also nicht von der Süße des irdischen Treibens blenden lässt), der wird niemals (wirklich) sterben; vielmehr erscheint der in Strophe 1 aufgerufene (irdische) Tod als ein Übergang zum wahren Leben: ein Leben voller Freude, ohne irdische Mühen. Die Möglichkeit für den Menschen, dieses Leben zu erreichen, liegt in Gottes Macht.

Als Mittlerin der Gnade ruft die dritte Strophe nun Maria an und verbindet Marienpreis und Gotteslob aufs Engste miteinander: Wie ihr Körper Gott umfing, so umfängt Gott die ganze Welt, doch reicht seine Macht noch viel weiter. Sie ist Mutter Gottes und zugleich seine Tochter; sie ist das größte Wunder Gottes, erhabene Jungfrau, vollkommen schön. Mit ihrer Tugend hat Gott den Himmel und die Welt bekrönt.

Anders als in den ersten beiden Strophen, die eine deutliche Opposition zeichnen von irdischem Leid einerseits und jenseitigem Heil andererseits, wird hier über das Lob Marias auch die Welt als Schöpfung Gottes gepriesen. Die vorher primär linear inszenierte Zeitlichkeit des irdischen Alterns, das auf das Ziel des himmlischen Heils gerichtet ist, wird so mit einer zyklischen und überzeitlichen Perspektive verbunden, und die Tugendhaftigkeit wird zum Bindeglied zwischen Welt und Himmel.

Dass es das eigentliche Ziel des Menschen ist, sich aus der irdischen Sündhaftigkeit zu befreien und dadurch den Weg zu Gott zu finden, macht die vierte Strophe noch einmal deutlich: Der Mensch erscheint als Pilger, das Leben damit als Wallfahrt, das Ziel ist das Himmelreich. Doch wird der Weg durch den ›Leim der Sünde‹, an dem das Gemüt des Ichs klebt, beschwerlich. Wie ein Gast lebt der Mensch auf der Welt und hat offene Schulden bei seinem Wirt. Hier dominiert wieder, wie zu Beginn des Liedes, die lineare Perspektive: Das Leben ist wie ein Tag, der Morgen der Jugend ist vorbei, und bevor die Nacht und damit der Tod kommt, müssen die Schulden beglichen sein. Der Individualtod des Menschen und das Erinnern an das Jüngste Gericht gehen ineinander über, und so endet das Lied mit dem Appell, sich der begrenzten irdischen Zeit bewusst zu werden und trotz möglicher Hindernisse die Schulden rechtzeitig zu begleichen.

Sandra Hofert

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