LDM -- Textsynopse

Gottfried von Straßburg, ›Kint, unde welle dich gelu̍ke miden‹

C Gottf 70

C Gottf 70 = HMS II 124 III I; RSM ¹Gotfr/3/1

[[??? Nota-Zeichen und Kreuz am Spaltenrand]][ini K|3|rot]int, #vn#d welle dich gel{u^i|ü}{k|ck}e m{i|î}de#n·,

d#c dir // got arm{#v^o|uo}t gebe an l{i|î}be #vn#d {o^v|ou}ch an g{u^o|uo}-/te·,

d#c #solt gedulte{k|c}l{i|î}ch l{i|î}de#n#·

#vn#d en#solt / dar#vmbe h{a|â}n kein tr{u|û}re#n in dem m{#v^o|uo}te·; /

d#v #solt im es gen{a|â}de #sage#n· mit h#erze#n #vn#d / mit ged[ers a ers][sup e sup]nke#n·,[[1-6 i¬e~i-Superskripte der Reimwörter sind wohl Korrekturen von anderer Hand; Tilgung von i¬a~i in i¬ged[ers a ers][sup e sup]nke#n~i ist nicht umgesetzt]]

niemer #solt d#v dar an ge-/w[ers a ers][sup e sup]nken·:

#sich, #s{o|ô} heizet er dir dort die w#er-/den fr{o^ei|öu}de #schenke#n·. /

C Gottf 71

C Gottf 71 = HMS II 124 III 2; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]int, arm{#v^o|uo}t, d#c wi{#s#s|zz}e#st, tr{u|û}t ge#selle·, /

#sw#er die wille{k|c}l{i|î}che h{a|â}t,>>[mut · mut][ins d ins]#c[[1 i¬d#c~i$ i¬d~i gebessert aus Reimpunkt]] #solt d#v / mir gel{o^v|ou}ben·,

de#n ernert #si vor der tiefen / helle·:

#si kan den l{i|î}p, die #s{e|ê}le vor alle#n #s{#v^i|ü}n-/den r{o^v|ou}ben·.

arm{#v^o|uo}t i#st gege#n gote#s zorne d{u^i|iu} / h{o|œ}h#ste #s{#v^o|üe}nerinne·;

zwi#schen gote #vn#d #vn#s / v{u^e|üe}get #si die mi#nne·,

die kein engel f{u^e|üe}ge#n / kan: d#c nim in d{i|î}ne #sinne·! /

C Gottf 72

III

C Gottf 72 = HMS II 124 III 3; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]int, arm{#v^o|uo}t, die mi#nnete d#er {e|ê}r#ste[[2-2 i¬d#er {e|ê}r#ste #vn#d d#er h{e|ê}r#ste~i$ i¬der herste und der erste~i HMS II, 276]]

#vn#d d#er / h{e|ê}r#ste·, d#er ie w►#c|as◄ #vn#d iemer i#st {a|â}n ende·. /

arm{#v^o|uo}t w►#c|as◄ #s{i|î}n anevan{g|c} zem>>{e|ê}r#ste·,

d{o|ô} in / d{u^i|iu} #s{#v^e|üe}ze m{#v^o|uo}t#er #s{i|î}n gebar i#n di{s|z} ellende·.

ar-/m{#v^o|uo}t leit er naht #vn#d ta{g|c}, mit arm{#v^o|uo}t #schi[ho et ho] / er hi#nn[mut n mut][ins e ins]n·,[[1 i¬hi#nnen~i$ i¬e~i gebessert aus Ansatz zu i¬n~i]]

mit arm{#v^o|uo}t m{#v^o|uo}#st>>#er #vn#s wider / gewi#nnen·;

#sich, die m{#v^o|uo}#st d#v mi#nne#n {o^v|ou}ch, / wiltu d#er helle ent#rinnen·. /

C Gottf 73

C Gottf 73 = HMS II 124 III 4; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]int, d#vn l{a|â} dich niema#n de#s betriege#n·, /

d#v en<<mi#nne#st arm{#v^o|uo}t d#vr got i#n[[1 i¬i#n~i$ i¬i~i gebessert]] dem / h#erzen·,

#s{o|ô} m{#v^o|uo}#st d#v dich z{#v^o|uo} der helle bie-/gen·,

d{a|â} d#v {a|â}n ende d#vlde#n m{#v^o|uo}#st de#n iemer / w#ernden #sm#erzen·.

got enwolte d#er m{#v^o|uo}t#er #s{i|î}n / niht gebe#n zwei himelr{i|î}che·;

bitt#er arm{#v^o|uo}t / leit d{u^i|iu} mi#nne{k|c}l{i|î}che·,

d#er an wirde me#n#sche / wart no{h|ch} engel nie gel{i|î}che·. /

C Gottf 74

C Gottf 74 = HMS II 124 III 5; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]i#nt, got #sprach mit #s{i|î}n #selbes m#vnde·, /

d#c d#c himelr{i|î}che #s{i|î} der wille{k|c}l{i|î}che#n / arme#n·;

d#c¦nim in d{i|î}n h#erze z'aller #st#vnde·, /

no{h|ch} en<<l{a|â} de#n m{#v^o|uo}t n{a|â}{h|ch} horde #selte#n dir[[1 i¬dir~i$ i¬d~i gebessert]] er-/warme#n·.

g{#v^o|uo}t i#st {a|â}ne m{a|â}ze#n #schade ze / de#m {e|ê}we{k|c}l{i|î}che#n heile·:

e{s|z} v#erleitet de#n man / an ma#n{i|e}gem teile·;

d{a|â} vo#n we#nde drabe de#n / m{#v^o|uo}t, welle#st d#v dort #s{i|î}n geile·. /

C Gottf 75

C Gottf 75 = HMS II 124 III 6; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini L|2|rot]iebe{#s|z} ki#nt, n#v wil ich dir bet{u^i|iu}te#n·,

w{a|â} vo#n / g{#v^o|uo}t i#st al#s{o|ô} #schade·, d{a|â} man'{#s|z} niht h{a|â}t / ze>>m{a|â}ze·:

e{s|z} l{a|â}t got vo#n herzen #selte#n tr{u^i|iu}-/te#n·,

e{s|z} h{a|â}t im vil ma#n{i|e}ge #s{e|ê}le erwant an / #s{i|î}ner #str{a|â}{#s#s|z}e·;

e{s|z} birt h{o|ô}{h|ch}vart, h{o|ô}he#n m{#v^o|uo}t / #vn#d gote#s vil v#erge{#s#s|zz}en·,

e{s|z} wil h{a|â}n w{i|î}{b|p}, / w{i|î}n #vn#d #s{#v^e|üe}z{u^i|iu} e{#s#s|zz}en#·;

d{a|â} vo#n man{i|e}g#er m{#v^o|uo}z // hin abe de#n we{g|c} zer helle me#s#se#n·. /

C Gottf 76

VII

C Gottf 76 = HMS II 124 III 7; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]int, nu wil ich dir be#scheide#n m{#e|ê}re·,

w{a|â}[rad #n rad][[1 i¬wa~i$ Nasal über i¬a~i radiert]] vo#n / g{#v^o|uo}t i#st al#s{o|ô} #schade [mut · mut][ins g ins]ege#n[[1 i¬gege#n~i$ erstes i¬g~i gebessert aus Reimpunkt]] gote #vn#d gege#n / de#n l{u^i|iu}te#n·:

e{s|z} t{#v^o|uo}t ma#n{i|e}gen g{[mut v mut][ins o ins]^v|ou}ch[[1 i¬go^vch~i$ i¬o~i gebessert aus i¬v~i]] als {#v|ü}ber-/h{#e|ê}re·,[[3 i¬überhêr~i Adj. ›überaus gewaltig‹ (Le II, Sp. 1625).]]

d#c #s{i|î}n blinde{s|z} h#erze en<<kan niema#nne / dehein {e|ê}re erbiete#n·;

#s{o|ô} i#st e{s|z} {o^v|ou}ch vo#n art al-/#s{o|ô}, #swel{h|ch} ma#n #s{i|î}n iht gev{a|â}het·,[[3 i¬gevâhen~i stV. hier ›bekommen‹ (Le I, Sp. 954f.).]]

d#c d#er alze-/hant de#n m{#v^o|uo}t v#er#sm{a|â}het·,

d{a|â} vo#n er go{tt|t}e v#er-/ret #vn#d der helle n{a|â}het·. /

C Gottf 77

VIII

C Gottf 77 = HMS II 124 III 8; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]i#nt, n#v wil ich dir no{h|ch} b#c be#scheide#n·, /

w{a|â} vo#n g{#v^o|uo}t i#st al#s{o|ô} #schade gege#n gotl{i|î}-/che#n dinge#n·:

e{s|z} kan gei#stl{i|î}ch lebe#n #s{e|ê}re leide#n·; /

e{s|z} kan [mut d mut][ins w ins]ende#n[[1 i¬wende#n~i$ i¬w~i gebessert aus i¬d~i]] #vngemach #vn#d zarte{#s|z} le-/be#n bringe#n·;

e{s|z} kan[[1 i¬kan~i$ i¬k~i gebessert]] {#v|û}{s|z} de#m herze#n #iage#n die / #s{#v^e|üe}ze#n go{tt|t}e#s mi#nne·.

›#sw{a|â} d{i|î}n hort i#st, d{a|â} / #si#nt d{i|î}ne #sinne·‹,

#sprach got #selbe. #sich, d{#v^i|iu} / wort, d{u^i|iu} l{a|â} dir alte#n[[3 i¬alten~i swV. ›alt werden‹ (Le I, Sp. 43) im Sinn von ›reifen‹ (vgl. {Brand # 1206}, S. 50).]] inne·. /

C Gottf 78

C Gottf 78 = HMS II 124 III 9; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]int, n#v wil ich dich no{h|ch} b#c¦bew{i|î}#se#n·, /

w{a|â} vo#n g{#v^o|uo}t i#st al#s{o|ô} #schade ze de#m hime_l#s-|_/li_|s_che#n {ch|k}{o|ô}re·:

#sich, e{s|z} machet ma#n{i|e}gen alte#n / gr{i|î}#sen·,

d#c er wirt an g{u^o|uo}te#n w#erke#n t#vm{b|p} / al#sam ein t{o|ô}re·,

wa#n #s{i|î}n geile{s|z} herze wirt / #s{o|ô} vule vo#n de#m g{#v^o|uo}te·,

d#c er got v#ertr{i|î}bet {#v|û}{#s|z} / de#m m{#v^o|uo}te#·,

der in an de#m kr{u^i|iu}ze erl{o|ô}#ste¦mit / #s{i|î}n#s h#erzen bl{#v^o|uo}te·. /

C Gottf 79

C Gottf 79 = HMS II 124 III 10; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]i#nt, #s{i|î}#st d#v v#er#sm{a|â}het vo#n de#n l{u^i|iu}te#n·,

d#c d#v / g{#v^o|uo}te#s niht enh{a|â}#st, d#c l{a|â} dir niht #s{i|î}n / #sw{e|æ}re·!

#sich, got wil dich lie{b|p}l{i|î}ch dr#vmbe / tr{u^i|iu}te#n·

an d#er #stunt, d{a|â} im vil r{i|î}cher l{u^i|iu}te / wirt #vnm{#e|æ}re·.

nim ein<<wed#er hie d{i|î}n wol / oder dort d{i|î}n w{e|ê} {a|â}n ende·,

do{h|ch}[[2 i¬do{h|ch}~i$ i¬oder~i HMS II, 277]] nim hie d{i|î}#n / w{e|ê}, dar an gene#nde·,[[3 i¬genende~i stF. hier ›Dreieinigkeit‹ (vgl. BMZ II/1, Sp. 313b).]]

#vmb[sup e sup] dort iem#er w#ernde{#s|z} / wol n{a|â}ch dirre welte ellende·. /

C Gottf 80

C Gottf 80 = HMS II 124 III 11; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]i#nt, got wart nie niht #s{o|ô} lie{b|p}, #s{o|ô} m{#e|æ}re·, /

als im i#st d{e|ie}m{#v^e|üe}te{k|ch}eit an ma#nne#n #vn#d / an w{i|î}be#n·,

#vn#d d{a|â} wid#er nie niht al#s{o|ô} #sw{#e|æ}re· /

#sam d{u^i|iu} h{o|ô}{h|ch}<<vart, wa#n #si kan ir kint ze / der helle t#r{i|î}ben·.

#sich, n#v en<<#sihe#st d#v ir [del [exp n exp] del] / niend#er m{e|ê} da#nne #vnd#er r{i|î}che#n l{u^i|iu}te#n·,

die k#v#n-/ne#n #sich ir ze dien#ste erb{u^i|iu}te#n·

naht #vn#d ta{g|c}: / d{a|â} vo#n #solt d#v r{i|î}cheit ze>>m{a|â}ze tr{u^i|iu}te#n·. /

C Gottf 81

XII

C Gottf 81 = HMS II 124 III 12; RSM ¹Gotfr/3/1

[ini K|2|rot]i#nt, f{u^i|ü}nf dinge #solt d#v habe#n mi#nne·,

wel-/le#st d#v, d#c dir got l{o|ô}ne d{i|î}ner arm{#v^e|üe}-/te·:

reine{k|ch}eit, die nim i#n d{i|î}ne #sinne·,

k{u^i|iu}-/#sche{k|ch}eit in d#c h#erze d{i|î}#n, die milte i#n d{i|î}n ge-/m{#v^e|üe}te·;

naht #vn#d ta{g|c} #solt d#v d{e|ie}m{u^o|uo}t v{u^i|ü}r // d{i|î}n{u^i|iu} {o^v|ou}ge#n #spa#nnen·,

gedult{i|e}{g|c} #s{i|î}n gege#n fr{o-/w|ouw}e#n #vn#d gege#n ma#nnen·;

#si{h|ch}, #s{o|ô} wirde#st d#v nih[ho t ho] / dort mit den be#nnigen[[3 i¬be#nnigen~i$ Substantivierung zu i¬bennec~i Adj. ›mit einem Bann belegt‹ (MWB I, Sp. 576).]] v#erbanne#n#·. /

C Gottf 82

XIII

C Gottf 82 = HMS II 124 III 13; RSM ¹Gotfr/3/1

[[??? Kreuz am rechten Rand neben der Strophe]][ini S|2|rot]{o|ô} die r{i|î}chen l{u^i|iu}te #sint gedru#nge#n·

an d#c / alter, d#c #si niht m#vge#n m{e|ê} die h{o|ô}{h|ch}<<vart / {#v^e|üe}ben·,

#s{o|ô} #spi{zz|tz}ent[[3 i¬spitzen~i swV. ›spitz machen, zuspitzen, mit Spitzen versehen; auch bildlich‹ (vgl. Le II, Sp. 1102).]] #si ab#er {#v|û}f die #i#vnge#n·

#vn#d / l{e|ê}re#nt #si h{o|ô}{h|ch}<<vart, d{u^i|iu} got d{a|â} kan betr{u^e|üe}be#n·; /

#s#vs h{a|â}nt #si die h{o|ô}{h|ch}<<vart #vnz an d#c en-/de·,

#s{o|ô} #scheide#nt #si dir vo#n, d#c i#st #vnwende·. /

got d#vr{h|ch} #s{i|î}ne#n t{o|ô}t #vns alle#n #s{i|î}n gen{a|â}de / #sende·! // [[1 Rest der Spalte freigelassen (fol. 368v-370v vollständig freigelassen)]]

Kommentar

Überlieferung: unikal in C.

Form: 5-a 7-b / 5-a 7-b // 7-c 5-c 7-c

Inhalt: Didaktisches ›Lied über die Armut‹ mit Elementen einer Sünden- und Tugendlehre.

Die einleitende Anrede Kint verbindet bis auf die letzte alle Strophen. Str. I setzt, dass armuͦt zur werden froͤide (I,7) im Jenseits führt, was Str. I–V weiter ausführen. In Str. VI–XI wird umgekehrt thematisiert, inwiefern guͦt schadet. Eingeleitet wird dieser Abschnitt mit der varriierten Anrede Liebes kint (VI,1), zudem ist die Argumentation durch Weiterleitungsfloskeln in den Strophenanfängen (vgl. z. B. VII,1: nu wil ich dir bescheiden mere) gekennzeichnet, die dem Strophenblock den Charakter eine Lehrgesprächs verleihen (vgl. Brandt, S. 51f.). Str. XII ergänzt in Form eines Tugendkatalogs fünf weitere Qualitäten, die eine gottgefällige Lebensführung aufweisen soll. Die letzte Strophe ist eine Warnung, sich nicht von den Alten, die hohvart unz an daz ende (XIII,5) ausüben, zu dieser schlimmsten der Todsünden verleiten zu lassen. Das Lied schließt mit der Bitte um göttliche genade (XIII,7).

Simone Leidinger