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Reinmar, ›Ich sach si, were ez aller der welte leit‹
A Reinm 65
I (work in progress)A Reinm 65 = MF 164,12
Überlieferung: Heidelberg, UB, cpg 357, fol. 4v
A Reinm 66
II (work in progress)A Reinm 66 = MF 163,23
Überlieferung: Heidelberg, UB, cpg 357, fol. 4v
A Reinm 67
III (work in progress)A Reinm 67 = MF 164,21
Überlieferung: Heidelberg, UB, cpg 357, fol. 4v
A Reinm 68
IV (work in progress)A Reinm 68 = MF 164,30
Überlieferung: Heidelberg, UB, cpg 357, fol. 4v

Kommentar

Überlieferung: Als sieben­stro­phige Einheit ist das Lied im Reinmar-Korpus in C überliefert. Sechs dieser Strophen haben Parallelüberlieferungen in der ursprünglich namenlosen Reinmar-Sammlung in B sowie im Reinmar-Korpus in E. Vier Strophen sind zudem in A Reinmar zugeschrieben. Die siebte Strophe in C hat ebenfalls eine Parallelüberlieferung in B, allerdings am Ende des ausdrücklich Reinmar zugewiesenen Korpus (s. Korpuskommentar zu B, hier insbesondere die vermutliche Chronologie der Einträge, nach der B Namenl/86 mit B Reinm 31–35 verbunden ist).

Die Strophenreihenfolge in C Reinm und B Namenl/86 ist identisch, in E sind die Strophen paarweise umgestellt (I, II, V, VI, III, IV); der Strophenbestandt und die Reihenfolge in A im Vergleich zu BC sieht wie folgt aus: V, I, VI, III.

Die Auffassung als Liedeinheit sowie die Anordnung der Strophen variiert in der älteren Forschung (eine Übersicht geben MF/MT im Apparat). Schweikle ediert die in C letzte Strophe als Einzelstrophe; Kasten folgt in ihrer Edition zwar C, stellt aber ausdrücklich die Zusammengehörigkeit mit C VII in Frage (vgl. S. 841). MF/MT folgen E, ergänzen jedoch die in C letzte Strophe, markiert mit einem Asterisk.

Form: .5a .4b / .5a .4b // .4-c .8-c .4d .8d

Es liegen achtversige Stollen­stro­phen vor. Formal eng miteinander verbunden sind die beiden Strophen C Reinm 53 54 et al., die nur in A nicht aufeinander folgen. Der vorletzte Vers der ersten Strophe beginnt mit owe, die folgende Strophe setzt mit diesem Wort ein. Formen von sehen und geschehen prägen die Reime des Strophenpaars (I,2.4.7.9; II,7.8.9), zudem reimen die d-Reime beider Strophen miteinander.

Die in C letzte Strophe ist metrisch an die vorausgehenden angeglichen. In B ist die dort einzeln überlieferte Strophe eher als achtversige Stollenstrophe mit paargereimten Abgesang lesbar: .5a .4b / .5a .4b // 5-c .5-c .4d .6d (mit daktylischer Lesung des siebten Verses). Der Aufgesang in C ist entsprechend, der Abgesang liest sich als: 5-c .6-c .4d .8d.

Ferner reimt der a-Reim in BC III unrein. Kein Auftakt in C I,3 et al., C V,7. Unterfüllt sind C I,6; BC III,3. B VI,5 ist überfüllt, der Folgevers unterfüllt.

Inhalt: Minneklage, die geprägt ist von der Frage nach dem richtigen Sprechen: Authentizität des Sanges, zuht und die gesellschaftliche Forderung nach freudigem Sang wirken ineinander. Neben das Motiv des öffentlichen Sanges tritt das Sprechen unter vier Augen und die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Dichtung.
(Die Strophennummerierung im Folgenden bezieht sich auf BC.)

Niemals hat der Sprecher etwas Schlechtes über die Frauen gesagt und auch, wenn sie sich ihm gegenüber gleichgültig zeigen, will er ihnen weiter dienen (vgl. Str. I).

Von den Frauen im Kollektiv kommt der Sprecher in der zweiten Strophe zu seiner Einzelnen: Wie mac mir ein wip so rehte liep gesin, / der ich doch so gar ummere bin? (E II,1f.) (in BC allgemeiner ›etwas‹). Es ist »[n]ich das Leid unerfüllter [...] Liebessehnsucht, sondern die Irritation der eigenen Identität durch die Beobachtung scheinbar grundsätzlich unsinnigen Verhaltens« (Grubmüller, S. 404) – das Angezogensein von der Dame trotz ihrer Abweisung –, das »zum Antrieb der Ich-Reflexion« (ebd.) wird. Die Gleichgültigkeit fügt dem Sprecher Leid zu, doch hat er noch einen Trost, den er fatalistisch konstatiert: swas geschehen sol, das geschiht (B II,9).

Er muss sein Leid mit zu̍hten (B III,3) tragen, sonst könnte er nicht mehr in der welte (B III,8) (der höfischen Gesellschaft) sein (vgl. Str. III). Das bedeutet, »den Widerspruch von persönlicher Erfahrung und gesellschaftlichem (höfischem) Anspruch in sich selbst [zu] verlegen« (Grubmüller, S. 405).

Derjenige, der die Welt besser erfreute als der Sprecher, soll in Gnaden leben. Doch ihm selbst hat sein Sang nichts Gutes gebracht; weder die Gesellschaft noch die Minnedame gaben ihm Lohn. Das erlitt der Sprecher heimlich und droht nun einen Sangesstreik an: Wenn die Dame ihn nicht zum Singen auffordert, will er nie mehr singen (vgl. Str. IV).

Der Sprecher erinnert sich: Ihr Anblick verursachte ihm minnecliche[] arebait (B V,3); voller Schmerz ist er von ihr geschieden und hat jammervoll zurückgesehen (vgl. Str. V).

Dass er schwieg, als sie zusammen waren, quält den Sprecher. Er war so froh, dass er vor Liebe nicht sprach (vgl. Str. VI). So wird die Abwesenheit der Dame zu einer Möglichkeitsbedingung für den Sang.

Die letzte Strophe zeigt das Ich in froher Stimmung – im Einklang mit der sommerlichen Natur. Er lobt die Schönheit seiner Dame, mit der sie die anderen Frauen übertrifft (in C gehen dabei innere und äußere Schönheit zusammen, in B findet sich eine Differenzierung von inneren Werten und äußerer Erscheinung). Die Strophe endet in C mit einem Unsagbarkeitstopos; in B steht der Selbstaufruf zum Lobpreis der Dame: »Die Fortsetzung des Sanges ad infinitum erscheint [...] als adäquate ästhetische Antwort auf die ethische Vollkommenheit der Dame« (Kellner, S. 113).

Kasten, S. 150f., erkennt in dem Lied ein konkretes intertextuelles Spiel mit C Reinm 113–117 et al. Hausmann, S. 208, spricht von einer gemeinsamen ›Geschichte‹ der beiden Lieder, eine gemeinsame fiktionale Handlung.

Sandra Hofert

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