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Überlieferung: Das Lied ist zweimal in ähnlichem Wortlaut überliefert, und zwar außer in C auch in den Nachträgen von A, die zwar keinen Autor nennen, aber in diesem Abschnitt deutlich auf eine reine Rubin-Sammlung zurückgehen. Die C-Fassung besitzt eine vierte Strophe, die A nicht kennt. In beiden Handschriften folgt das Lied auf Ich singe sunder minen dank (A Namenl 1–7 / C Rubin 4–7), zu dem auch enge textliche und inhaltliche Bezüge bestehen (s. unten). Touber, S. 200, konstatiert daneben einen Zusammenhang im Strophenbau der beiden Lieder, der für die Anordnung in den Handschriften maßgeblich gewesen könnte. Man darf die Liedabfolge aber für früher, spätestens in autornaher Überlieferung entstanden halten.
Form: Die Kanzonenstrophe mit dem Schema .3a .3b .4a / .3b .3a .4b // .4c .5d .3d .4c .4d ist die einzige in Rubins Œuvre, die einen dreizeiligen Stollen mit Kreuzreimen kombiniert und dadurch das paarige Prinzip des Aufgesangs (3 3 4 / 3 3 4) mit einer Dreierstruktur (ab ab ab) überlagert. Die Versfüllung ist bemerkenswert regelmäßig, die einzigen signifikanten Schema-Abweichungen finden sich in III,3 (fehlender Auftakt in beiden Handschriften) sowie in A II,3 (Unterfüllung).
Inhalt: Das Lied formuliert eingangs die Erkenntnis des Sprechers, sein lieber wan, der froͤide nicht nur verheißt, sondern geradezu selbst spendet, sei töricht und lebenszeitvergeudend. Diese selbstkritische Erkenntnis wird in der zweiten und dritten Strophe gleich wieder kassiert und in einem Tugendlob der Geliebten (ir ere, guͤte, wiplich leben, reine tugent) aufgehoben. Der Gedanke, sie habe noch immer mehr Freude zu geben als Leid (II,7f.), erlaubt die Rückkehr zur Zuversicht auf Lohn und damit zur Freude (II,9ff.). Erst die vierte Strophe nimmt die Unerbittlichkeit der Dame wieder in den Blick. Die dritte Wiederkehr der Wäge-Denkfigur (II,7f.: kein Leid, zu dem sie nicht noch mehr an Freude in petto hat; III,10f.: ihr Trost wiegt schwerer als sein Kummer) lässt es kippen: immer noch mehr, als er bitten, kann sie versagen (verzihen, IV,1ff.), womit der Ausgangspunkt, die Erinnerung an die gar verzigen Hoffnung im letzten Jahr, wieder aufgerufen ist. Den Schluss bildet die Bereitschaft des Sängers, sich zurückzuziehen, um die Dame vor der missbilligenden Gesellschaft (die ungemuͦten, die man in valscher huͦte siht IV,6.10) nicht mit einem Wort oder einem heimlichen Blick zu kompromittieren.
Rubins liedübergreifende Poetik kommt darin zum Tragen, dass in der ersten Strophe nicht nur behauptet wird, eine Situation des vergangenen Jahres (vert) wiederhole sich jetzt (der Sänger ist aber vro), sondern dass ein anderes Lied (A Namenl 1–7 et al.) von diesem Verweis präzis angezielt wird. Enge Bezüge auf mehreren Ebenen (zitatartige Reimresponsionen, Leitbegriffe, Motive; nachgewiesen bei von Kraus, S. 413f.) garantieren die Verkettung der Lieder. Als besonders wirkungsvoll hervorzuheben sind die Reimechos geligen : verzigen : gedigen (Str. I) zu gesigen : verzigen : geligen C 4 und me : we : ste (IV) zu we : me : bestê C 7. Das Lied behauptet also auch, »unbesonnene Äußerungen, welche die Geliebte böswilliger Nachrede ausgesetzt haben« (von Kraus), nämlich die des ›vorjährigen‹ Liedes mit seiner Phantasie sexueller Erfüllung, zurückzunehmen.
Als Prätexte wurden schon sehr früh Walthers L 92,9, L 61,32 und L 185,1 ausgemacht. Im Zusammenhang zwischen L 185,1 und der Einzelstrophe L 61,32 scheint auch das Verfahren liedübergreifender Rückbezüge präfiguriert. Rubin hätte nicht nur mit Ich singe sunder minen dank (A Namenl 1–7 / C Rubin 4–7) Walthers L 185,1 ›nachgedichtet‹, sondern sich so stilisiert, »als habe auch er unter dem Druck der Gesellschaft seine Position korrigieren müssen, als sei auch er – gleich Walther – zu Widerruf und Apologie genötigt worden« (Kaiser, S. 69).
Sonja Glauch