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Ulrich von Singenberg, ›Sich hup ein ungevuͤger zorn‹ (A 97 98 99 100) Lied zurückLied vorDruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: Die reiche Überlieferung ist in der Reihenfolge der Strophen erstaunlich konstant: CEO1 bieten ein fünf­stro­phiges Lied, A läuft parallel, doch fehlt dort die fünfte und letzte Strophe. Abseits steht S mit der vierten und fünften Strophe von CEO1, die in S (durch gemeinsame Überschrift und nicht abgesetzte Strophen) mit zwei weiteren, in ihrem Formbau abweichenden Strophen (S 29,3f.) zu einem vier­stro­phigen Lied verbunden sind. Die Einheit der vier S-Strophen ist möglicherweise thematisch (minne) und über den Dichternamen (samt und sonders Parallelüberlieferung zu Walther von der Vogelweide) zu erklären, sie stellen ein Pasticcio aus drei ›alten‹ und wohl seit jeher prominenten Liedern dar; die Vernachlässigung der Form ist für S typisch.

Unter den älteren Textzeugen ACEO1 sind, was die Varianz auf Wortebene betrifft, EO1 eng verwandt; ihnen stehen auch die beiden S-Strophen nahe. Zwischen A und EO1 ist die Varianz größer, C geht häufig eigene Wege. Die Konstruktion eines Archetyps scheitert daran, dass die Gruppierungen oft von Vers zu Vers wechseln. Allerdings legen nicht wenige Stellen den Ansatz einer Vorstufe *AEO1 nahe, und zwar überall dort, wo die drei gegen C parallel gehen bzw. wo die Redaktionsprozesse evident sind (z. B. systematischer Ersatz von gewinnen AE[C] durch erwerben in O1).

Während die Textüberlieferung vergleichsweise stabil ist, variieren die Zuschreibungen erheblich: Die namenlosen Fassungen von O1 und S stehen gegen Ulrich von Singenberg (A), Walther von Mezze (C) und Walther von der Vogelweide (E). Die auch sonst begegnende Überschneidung Walthers von Mezze mit Walther von der Vogelweide erklärt sich wohl über den Namen; die literarhistorische Berührung zwischen Walther von Mezze und Ulrich von Singenberg ist bekannt. Die wenn auch namenlose Überlieferung in O1 (ausschließlich Parallelüberlieferung zu Walther von der Vogelweide) und auch die Aufnahme in S sowie die dortige Koppelung mit weiteren berühmten Walther-Strophen (S 29,3f.) macht die Zuschreibung an Walther von der Vogelweide wahrscheinlich; die älteren Ausgaben hingegen sind der Zuschreibungspraxis in C gefolgt, sodass das Lied in KLD, nicht aber in den heute gängigen Walther-Ausgaben (Ausnahme ist Bein) zu finden ist.

Form: Der formale Bau der Kanzonenstrophe ist luzide; die Strophen folgen recht streng dem Schema:

.4a .4b / .4a .4b // .5-c .5-c .4d .4x .4d

Unsicherheiten (in der Hebungszahl und im Auftakt) gibt es hin und wieder beim fünften Vers (CS II, EO1 III, CEO1 IV), sonst nur vereinzelt (AE I,6, A III,3, S I,7), die Kadenzierung ist nur einmal gestört (S I,5). Der fehlende Auftakt in C V,3 ist wohl als Emphase zu werten.

Inhalt: Die Argumentation des Liedes weist einen klar erkennbaren roten Faden auf, was mit der Grund für die Stabilität der Strophenreihung in der Überlieferung sein mag. Ein allegorischer Streit zwischen herze und lîp wegen eines wîbes (I) lähmt das Ich gleichsam und zwingt es dazu, ihnen helfend beizustehen; seine Aussicht ist, dass im Falle des Erfolgs – dem Erwerb des wîbes – das Ich teilen darf (II). Das Ich phantasiert sich nun aus, was es dann täte: herze bekommt herze, lîp den lîp, detto sinne und ougen, das Ich schließlich sie und sie das Ich (III). Sofort folgt die Ernüchterung durch die Einsicht, dass sie ihm dies nicht erlauben wird, verbunden mit der Pointe, dass dieses Phantasieren ihr nicht schade – weshalb sie nicht zürnen möge –, ihm aber das Dasein erleichtere (IV). Die Schlussstrophe (V) wiederholt den letzten Gedanken in einer Eloge auf das wünschen, das als remedium der Sorgen gefeiert wird. Ihr Fehlen in A hat daher auf den Argumentationsgang wenig Einfluss. Auch die Varianz im Detail ändert nicht den Charakter des Liedes in seinen einzelnen Fassungen, einige Verballhornungen ausgenommen (z. B. die Lesarten in III,4 und IV,1). Die Kürzung des Liedes auf die beiden Schluss­stro­phen von CEO1 in S hingegen schneidet Wesentliches ab und lässt nur zusammenhanglose Sentenzen übrig.

Florian Kragl

Kommentar veröffentlicht am 01.01.2016.
Gehört zur Anthologie: Minne- bzw. Werbelied
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Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 19r
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