Überlieferung: Ein sechsstrophiges Lied tradieren die Reinmar-Korpora in C und E, wobei in E die in C letzte Strophe an zweiter Stelle steht. Die anderen Handschriften tradieren keine zusätzlichen Strophen, sondern weichen nur im Hinblick auf Strophenauswahl und -reihenfolge ab. Fünf Strophen überliefert B zu Beginn des zweiten ursprünglich namenlosen Abschnitts der Reinmar-Sammlung (s. Korpuskommentar zu B) (es fehlt die in C fünfte Strophe [C V / E VI], die das Alter der Dame thematisiert [s. u.], ferner sind die in C vierte und sechste Strophe in ihrer Reihenfolge vertauscht). Ebenfalls fünf Strophen stehen im Reinmar-Korpus in A, wobei hier die Reihenfolge der ersten vier Strophen jener von B entspricht, während A genau die in B ausgelassene Strophe als letzte Strophe bringt (C V / E VI).
Schließlich finden sich in M₁ zwei anonym überlieferte Strophen (wobei die zweite im zweiten Vers abbricht), die Parallelüberlieferungen zu der in C vierten und fünften sind.
Die Anordnung der Strophen in den Editionen ist umstritten (eine Übersicht geben MF/MT im Apparat).
Form: .4a .6-b / .4a .6-b // .4c .7c .5-d .4x .5-d
Es liegen neunversige Stollenstrophen vor. Die Waise von C IV et al. reimt grammatisch mit V. 2. In A II ist der a-Reim gestört. Offensichtlich verderbt ist A V (sechsversige [?] Strophe der Form 4x 8a .7a .5-b .4x .5-b). Unterfüllt sind E II,2; E III,9; E VI,6. Kein Auftakt in A II,1; C VI,1 et al.
In MF/MT ist der 6. Vers als Langvers mit Zäsur dargestellt.
Inhalt: Minneklage, in deren Mittelpunkt die Widersprüchlichkeit der Hohen Minne steht, insbesondere die Freude im Leid sowie die Aussichtslosigkeit des ewig hoffnungsvollen Dienstes. (Die Strophennummerierung im Folgenden orientiert sich an C.)
So beginnt die erste Strophe direkt mit dem Oxymoron vom ›süßen Kummer‹. Obwohl dem Sprecher nie ein Bote eine trostvolle Nachricht von seiner Dame brachte, bereut er seinen Dienst nicht. Die Strophe schließt mit der Ausformulierung des bereits im ersten Vers anklingenden Minneparadoxons: Würde er zum Ziel kommen, wäre sie ihm nicht so lieb wie jetzt (vgl. Str. I).
Die Reaktionen Dritter werden in der Folgestrophe perspektiviert und gleichzeitig herangezogen, um das Innere des Ichs zu konturieren: Wo ist der Rat eines treuen Freundes? Der Minnedienst hat dem Sprecher bisher nur Spott gebracht; das muss er nun akzeptieren. Dass diejenige ihn hasst, die er von Herzen liebt, konnte ihm niemand (glaubwürdig) sagen, doch jetzt hat er es erfahren müssen (vgl. Str. II).
Aber ist der davon wirklich überzeugt? Die nächste Strophe hinterfragt die Aussichtslosigkeit seines Werbens, denn dass die Dame ihn wirklich für so unwert hält, wie sie tut, glaubt der Sprecher nicht. Momente der Zuversicht gehen über in die Bitte um Gnade, gleichzeitig wird die Hoffnung auf Erhörung unterlaufen von dem Genuss am gegenwärtigen Zustand: Wo andere sich über ihre Liebe freuen, ist dem Sprecher wohl mit seinem Leid. Ihre Güte und ihr Gebaren will er minnen (vgl. Str. III).
Keiner kann dem Sprecher den Rat geben, wie er zu Lebzeiten getröstet werden könne. Doch will er nicht darüber klagen, nur darüber, dass es den Untreuen, die nie Liebesschmerz erfahren haben, besser erging als ihm. Möge Gott bewirken, dass die Frauen diese falschen Werber durchschauen (vgl. Str. IV, nicht in A).
Eine Wendung ins Komische zeigen die beiden nächsten Strophen: Der Sprecher klagt über die Frage der Unverständigen: Wenn er der Dame schon so lange diene, wie alt ist denn dann seine Dame? Abstrakte Idealität trifft auf konkrete Pragmatik und wird ironisch gebrochen (vgl. Str. V, nicht in B).
Schließlich folgt die »Probebeischlafstrophe« VI (Hausmann, S. 183): Bei einem unverbindlichen Zusammenliegen könnten beide testen, ob ihnen das Beisammensein gefällt. Wenn ja, dann soll es von Dauer sein; wenn nein, dann bleibt es ohne Wirkung. Parallelen zum Kussraub mit Rückgabeversprechen wie in C Reinm 37 et al. sind erkennbar.
In Verbindung mit den ersten Strophen führt das Lied so zwei »komplementäre Strategien der Bewältigung von Liebesleid vor Augen, die Überlistung der Dame in der Phantasie und das Genießen des Schmerzes als Form einer befriedigenden Freude« (Kellner, S. 258).
Sandra Hofert
B *Reinm 20 = MF 166,16Zitieren | |||
![]() Weingartner Liederhandschrift (Stuttgart, LB, HB XIII 1), pag. 91 | |||
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Überlieferung: ACE überliefern fünf Strophen unter Reinmar, allerdings mit variierender Strophenreihenfolge (an der Reihenfolge von C orientiert bietet A II, III, I, V, IV und E I, V, III, IV, II). In E V ist der Strophenschluss gegen vier sonst nirgends überlieferte Verse ausgetauscht. In E sind die Strophen zudem mit dem Folgelied E Reinm 110–113 zusammengefasst (fehlender Dichtername vor E Reinm 110, nur einzeilige Initiale, siehe sekundäre Liedeinheit). B überliefert drei der Strophen im Reinmar-Korpus, in der gleichen Reihenfolge wie C (es fehlen die in C zweite sowie die letzte Strophe).
Die Strophenanordnung sowie ihre Zusammengehörigkeit wurden von der Forschung diskutiert (eine Übersicht bei MF/MT im Apparat).
Form: .4a .6b / .4a .6b // .4c .6c .6d .4e .4e .4d
Es liegen zehnversige Stollenstrophen vor. A III ist nur neunversig, wodurch V. 10 zur Waise wird. Auch in E III fehlt ein Vers, sodass V. 5 eine Waise ist; zudem ist der e-Reim gestört. In B III sind V. 9 und 10 vertauscht, wodurch ein Kreuzreim die Strophe schließt. In A IV / C V ist der e-Reim gestört. Unterfüllt sind C II,7 / E V,7; E V,4. Überfüllt sind B III,5 / C IV,5 sowie E V,5. Die Auftaktgebung kann variieren (insb. doppelter Auftakt).
Inhalt: Minneklage, in der der Sprecher die Frage nach dem richtigen Reden und Schweigen stellt. (Die Strophennummerierung im Folgenden bezieht sich auf C.)
Die Klage über das Älterwerden ist gleichzeitig Ausdruck der andauernden Minne. Seine Dame ist seiner Leidklagen überdrüssig geworden, heißt es in der ersten Strophe, und so möchte der Sprecher nun schweigend seinem Dienst Ausdruck verleihen. Damit verstrickt er sich »in den performativen Widerspruch« (Kellner, S. 303), des einerseits selbst auferlegten Schweigegebots, welchem andererseits im Sang Ausdruck verliehen wird.
Anders als in der ersten Strophe, in der die Minne unwandelbar und unvergänglich erscheint, beginnt die zweite Strophe mit dem Gedanken an eine Zeit vor dem Minnedienst: Früher hatte er immer geglaubt, dass das Reden anderer über das Leid der Minne bloß ein Scherz gewesen ist (anders E V: dort wird die Aussage verneint). Nun ist ihm eine Dame in das Herz eingedrungen, deren Gleichgültigkeit ihm alle seine Freude nehmen wird.
Die dritte Strophe greift das Thema von Reden und Schweigen aus der ersten Strophe auf (in B folgt sie direkt auf die erste): Die Hoffnung wird vom Zweifel verdrängt und der Sprecher kann nicht mehr weiter singen. Sollte die Dame nicht das entscheidende Wort aussprechen, so wird sein Leid kein Ende finden.
In der vierten Strophe zeigt sich der Sprecher wieder zuversichtlich, zwar nicht bezogen auf die Erhörung durch die Dame, aber auf einen anderen Lohn: den Ehrgewinn im andauernden Dienst.
Die letzte Strophe schließt wieder an die erste an (in E folgt sie direkt auf die erste): Sich selbst kann das Ich mit seiner Sprache nicht helfen; ein anderer Mann jedoch könnte mit dieser Rede sein Heil finden. Dieses Glück vergönnt der Sprecher dem anderen, solange jener es nicht an der gleichen Stelle (bei der gleichen Minnedame) sucht wie das Ich.
Sandra Hofert