Überlieferung: Als siebenstrophige Einheit ist das Lied im Reinmar-Korpus in C überliefert. Sechs dieser Strophen haben Parallelüberlieferungen in der ursprünglich namenlosen Reinmar-Sammlung in B sowie im Reinmar-Korpus in E. Vier Strophen sind zudem in A Reinmar zugeschrieben. Die siebte Strophe in C hat ebenfalls eine Parallelüberlieferung in B, allerdings am Ende des ausdrücklich Reinmar zugewiesenen Korpus (s. Korpuskommentar zu B, hier insbesondere die vermutliche Chronologie der Einträge, nach der B *Reinm 1–19 mit B Reinm 31–35 verbunden ist).
Die Strophenreihenfolge in C Reinm und B *Reinm ist identisch, in E sind die Strophen paarweise umgestellt (I, II, V, VI, III, IV); der Strophenbestand und die Reihenfolge in A im Vergleich zu BC sieht wie folgt aus: V, I, VI, III.
Die Auffassung als Liedeinheit sowie die Anordnung der Strophen variiert in der älteren Forschung (eine Übersicht geben MF/MT im Apparat). Schweikle ediert die in C letzte und in B vom Rest des Liedes separierte Strophe als Einzelstrophe; Kasten folgt in ihrer Edition zwar C, stellt aber ausdrücklich die Zugehörigkeit von C VII in Frage (vgl. S. 841). MF/MT folgen E, ergänzen jedoch die in C letzte Strophe, markiert mit einem Asterisk, um auf die Abweichung vom Tonschema hinzuweisen.
Form: .5a .4b / .5a .4b // .4-c .8-c .4d .4x .4d
Es liegen neunversige Stollenstrophen vor mit einer abschließenden Waisenterzine vor, jedoch ließe sich der Schluss der Strophe auch als .4d .8d ansetzen (so Schweikle). Formal eng miteinander verbunden sind die beiden Strophen C Reinm 53 54 et al., die nur in A nicht aufeinander folgen: Der letzte Vers der ersten Strophe beginnt mit owe, die folgende Strophe setzt mit diesem Wort ein. Formen von sehen und geschehen prägen die Reime des Strophenpaars (I,2.4.7.9; II,7.9), zudem reimen die d-Reime beider Strophen miteinander.
Die in C letzte Strophe zeigt einen deutlich kürzeren sechsten Vers (5 bis 6 Hebungen). In B ist die einzeln überlieferte Strophe lesbar als: .5a .4b / .5a .4b // .4-c .5-c .4d .2x .4d.
V. 3 ist in BC III gestört (unterfüllt mit Reimstörung). Kein Auftakt in C I,3 et al., C V,7. Unterfüllt ist C I,6. B VI,5 ist überfüllt, der Folgevers unterfüllt.
Inhalt: Minneklage, die geprägt ist von der Frage nach dem richtigen Sprechen: Authentizität des Sanges, zuht und die gesellschaftliche Forderung nach freudigem Sang wirken ineinander. Neben das Motiv des öffentlichen Sanges tritt das Sprechen unter vier Augen und die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Dichtung. (Die Strophennummerierung im Folgenden bezieht sich auf BC.)
Der Sprecher beteuert allen Frauen seinen Dienst, insbesondere einer, auch wenn diese ihm nur mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. Str. I und II). Diese Gleichgültigkeit fügt ihm Leid zu, doch muss er sein Leid mit zu̍hten (B III,3) tragen, sonst könnte er nicht mehr Teil der (höfischen) welte (B III,9) sein (vgl. Str. III). Die Rolle des Sangs als Teil höfischer Freude aufrufend, beklagt er den fehlenden Lohn, sowohl von der Gesellschaft als auch von der Dame, und droht einen Sangesstreik an (vgl. Str. IV).
Zurückblickend erinnert sich der Sprecher an den Anblick seiner Geliebten (vgl. Str. V) und bereut, bei einem Treffen mit ihr geschwiegen zu haben (vgl. Str. VI). Damit wird die Abwesenheit der Dame zu einer Möglichkeitsbedingung für den Sang. Dadurch, dass die Fassung in E mit dieser Strophe endet, scheint der Sänger hier in Anbetracht seiner vergegenwärtigten Erinnerung an die Dame zum Schweigen gezwungen zu werden.
Die Leidklagen werden kontrastiert mit der Freudenstimmung der in C letzten Strophe. Statt die Entfernung von der Dame zu beklagen, will er nun zu ihr. Er lobt ihre Schönheit, mit der sie die anderen Frauen übertrifft (in C gehen dabei innere und äußere Schönheit zusammen, in B findet sich eine Differenzierung von inneren Werten und äußerer Erscheinung). Die Strophe endet in C mit einem Unsagbarkeitstopos und damit in Schweigen. In B steht dagegen der Selbstaufruf zum Lobpreis der Dame, sodass die Strophe, die mit einem frühlingshaften Natureingang einsetzt und mit der Andeutung eines unendlichen Gesangs endet, ein selbstständiges Lied darstellt.
Die Fassung in A bietet eine eigene Dynamik: Das Lied setzt ein mit der Erinnerung an den Anblick seiner Dame (vgl. A I) und geht dann über in die Beteuerung, nie schlecht von einer Frau gesprochen zu haben (vgl. A II). Geradezu selbstironisch liest sich dadurch die sich anschließende Erinnerung in A III an sein Schweigen bei ihrem heimlichen Stelldichein. Am Ende steht die Selbstaufforderung, sich zur Freude zu zwingen, um bei der Welt zu sein. Damit endet auch diese Fassung mit einem Ausblick auf die Fortführung des Sangs, der hier allerdings als nur oberflächlicher Freudengesang erscheint.
Kasten, S. 150f., verweist auf die konkreten intertextuellen Rückbezüge des Frauenlieds C Reinm 113–117 et al. auf das Lied. Hausmann, S. 208, spricht von einer gemeinsamen ›Geschichte‹ der beiden Lieder, einer gemeinsamen fiktionalen Handlung.
Sandra Hofert
B *Reinm 19 = MF 164,21Zitieren | |||
![]() Weingartner Liederhandschrift (Stuttgart, LB, HB XIII 1), pag. 90 | |||
VI | |||
Überlieferung: ACE überliefern fünf Strophen unter Reinmar, allerdings mit variierender Strophenreihenfolge (an der Reihenfolge von C orientiert bietet A II, III, I, V, IV und E I, V, III, IV, II). In E V ist der Strophenschluss gegen vier sonst nirgends überlieferte Verse ausgetauscht. In E sind die Strophen zudem mit dem Folgelied E Reinm 110–113 zusammengefasst (fehlender Dichtername vor E Reinm 110, nur einzeilige Initiale, siehe sekundäre Liedeinheit). B überliefert drei der Strophen im Reinmar-Korpus, in der gleichen Reihenfolge wie C (es fehlen die in C zweite sowie die letzte Strophe).
Die Strophenanordnung sowie ihre Zusammengehörigkeit wurden von der Forschung diskutiert (eine Übersicht bei MF/MT im Apparat).
Form: .4a .6b / .4a .6b // .4c .6c .6d .4e .4e .4d
Es liegen zehnversige Stollenstrophen vor. A III ist nur neunversig, wodurch V. 10 zur Waise wird. Auch in E III fehlt ein Vers, sodass V. 5 eine Waise ist; zudem ist der e-Reim gestört. In B III sind V. 9 und 10 vertauscht, wodurch ein Kreuzreim die Strophe schließt. In A IV / C V ist der e-Reim gestört. Unterfüllt sind C II,7 / E V,7; E V,4. Überfüllt sind B III,5 / C IV,5 sowie E V,5. Die Auftaktgebung kann variieren (insb. doppelter Auftakt).
Inhalt: Minneklage, in der der Sprecher die Frage nach dem richtigen Reden und Schweigen stellt. (Die Strophennummerierung im Folgenden bezieht sich auf C.)
Die Klage über das Älterwerden ist gleichzeitig Ausdruck der andauernden Minne. Seine Dame ist seiner Leidklagen überdrüssig geworden, heißt es in der ersten Strophe, und so möchte der Sprecher nun schweigend seinem Dienst Ausdruck verleihen. Damit verstrickt er sich »in den performativen Widerspruch« (Kellner, S. 303), des einerseits selbst auferlegten Schweigegebots, welchem andererseits im Sang Ausdruck verliehen wird.
Anders als in der ersten Strophe, in der die Minne unwandelbar und unvergänglich erscheint, beginnt die zweite Strophe mit dem Gedanken an eine Zeit vor dem Minnedienst: Früher hatte er immer geglaubt, dass das Reden anderer über das Leid der Minne bloß ein Scherz gewesen ist (anders E V: dort wird die Aussage verneint). Nun ist ihm eine Dame in das Herz eingedrungen, deren Gleichgültigkeit ihm alle seine Freude nehmen wird.
Die dritte Strophe greift das Thema von Reden und Schweigen aus der ersten Strophe auf (in B folgt sie direkt auf die erste): Die Hoffnung wird vom Zweifel verdrängt und der Sprecher kann nicht mehr weiter singen. Sollte die Dame nicht das entscheidende Wort aussprechen, so wird sein Leid kein Ende finden.
In der vierten Strophe zeigt sich der Sprecher wieder zuversichtlich, zwar nicht bezogen auf die Erhörung durch die Dame, aber auf einen anderen Lohn: den Ehrgewinn im andauernden Dienst.
Die letzte Strophe schließt wieder an die erste an (in E folgt sie direkt auf die erste): Sich selbst kann das Ich mit seiner Sprache nicht helfen; ein anderer Mann jedoch könnte mit dieser Rede sein Heil finden. Dieses Glück vergönnt der Sprecher dem anderen, solange jener es nicht an der gleichen Stelle (bei der gleichen Minnedame) sucht wie das Ich.
Sandra Hofert