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Friedrich von Hausen, ›Ich muͦs von schulden sin unfro, sit si jah, do ich bi ir was‹ (C 1 2 3 4) Lied vorDruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: Das in B fünf­stro­phige Lied stellt sich in C als zwei Lieder dar, nämlich ein vier- und ein zwei­stro­phiges, die in der Handschrift nicht zusammenstehen und die sich formal unterscheiden. Die Strophe C Hausen 4, die das erste Lied beschließt, ist dabei unikal überliefert.

Form: B Hausen 1–5 und C Hausen 1–4 stimmen formal überein. Das nur in C eigenständige Lied C Hausen 18f. ist im Unterschied zur B-Parallelüberlieferung der Strophen zur Kanzonenform abgewandelt.

In B sind Str. I–IV über die Reimresponsion wip : lip miteinander verbunden (Str. B I,5f., B II,3f. B III,1f., B IV, 3f.), in C betrifft dies beide Lieder, nämlich die ersten drei Strophen von C Hausen 1–4 (C I,5f., C II,3f., C III,1f.) sowie die erste Strophe von C Hausen 18f. (C I,5f.). Zudem korrespondiert der Reimklang von Str. BC II,5f. (bekomen : genomen) mit Str. BC III,5f. (gefromen : komen).

B Hausen 1–5 / C Hausen 1–4: Den jeweiligen generellen Tendenzen der Handschriften folgend, markiert B mit Reimpunkten Kurzverse, C dagegen Reime, hier genauer: Reim­paare. Metrische Grundeinheit der Strophenform sind Vierheber, von denen sechs über den Endreim zu achthebigen Langversen zusammengeschlossen sind (V. 1, wobei hier der Binnenreim zugleich die vierhebige Struktur markiert, V. 3 und V. 6), während V. 4 mit zwei Hebungen wie eine Reduktionsform wirkt. Insbesondere aufgrund des Binnenreims in V. 1 entsteht eine Strophenform, die in einer nicht eindeutig aufzulösenden Spannung steht im Hinblick darauf, welches Kriterium der Versbildung hier das vorrangige ist: Isometrie oder Endreim. Das wird nicht nur durch die in B und C unterschiedliche Reim­punktsetzung unterstrichen. Auch innerhalb von C zeigt sich an getilgten Reimpunkten am Binnenreim (C I,1) und an der Zäsur (C II,6 und III,3), dass der Schreiber offenbar um die Strophenform gerungen hat. In der unikal überlieferten Strophe C IV fehlt zudem der Binnenreim in V. 1, was bei Kurzversen das Reimschema stören würde und für eine Interpretation des ersten Verses als Langvers spricht. Betont man mit B die metrischen Einheiten, erhält man eine isometrische vierhebige Periodenstrophe, deren abschließende Waisenterzine durch einen vorausgehenden Zweiheber betont ist:

.4a (.)4b .4b .4x .4a .2a / .4c .4x .4c

Hebt man mit C die Reim­paare hervor, steht eine Mischung aus Lang- und Kurzversen mit Binnenreim in V. 1 vor Augen:

.4a+(.)4b .4b .4+.4a .2a / .4c .4+.4c

Auftakt fehlt in II,4, B V,5 ist überfüllt, kein Binnenreim in C IV,1.

Dieser Unterschied ist keiner der formalen Struktur, sondern einer der Darstellung. Er geht hier mit unterschiedlichen handschriftlichen Auszeichnungen einher und auch mit unterschiedlichen literarhistorischen Assoziationen – wer Langverse sieht, dem wird die Nähe zum frühen Minnesang auffallen, wer auf die Periodenstrophe schaut, dem wird die Nähe zur romanischen Lyrik von Augen stehen (vgl. Spanke, S. 206), und beides scheint zuzutreffen. Die unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten visualisieren Heinen, S. 6f., und Hassel, S. 34–36).

C Hausen 18f.: Kanzonenform: .4a .4b / .4a .4b // .4c .2c .4d .4x .4d

Fehlender Auftakt in C II,4. Die Hebungszahl von V. 6 ist unsicher. Will man beide Strophen einem Schema unterordnen, dann ist bei zwei Hebungen C II,6 leicht überfüllt – oder daktylisch mit Wortkontraktion? –, bei drei Hebungen wären in C I,6 zwei beschwerte Hebungen anzunehmen.

Inhalt: Minneklagen. Zentral ist die Dichotomie von räumlicher Trennung und unerwiderter gedanklicher und emotionaler Nähe.

B Hausen 1–5 / C Hausen 1–4: In Str. I wird mit Eneas und Dido das unglückliche literarische Liebespaar schlechthin aufgerufen. Vor diesem Hintergrund wirkt die Klage des Ichs gesteigert: Es muss lernen, mit seinem Liebesschmerz zurechtzukommen (Str. II). Das Motiv des Herzens, das in Str. I als Variante der Herztauschmetapher begegnet, dominiert als Bild von der Dame im Herzen Str. III. In C schließt an diese Strophe eine letzte, unikal überlieferte an, die das Thema der Trennung variiert: Das Ich beklagt sich, dass es der Geliebten so verre komen ist (C IV,1), während es ihr ie was undertan (C IV,3). Die B-Version bietet mit Str. B IV und V weitere Variationen zur Dichotomie von Ferne und Nähe: In Str. B IV wird die Trennung kontrastiert mit der einleitenden Wunschvorstellung vom Beisammensein als wunneclichu̍ zit (B IV,1); trotz seiner Schmerzen sieht das Ich seine Wahl durch die Qualitäten der Dame bestätigt. Das Lied wird mit B V von einer Strophe beschlossen, bei der die Trennung als konkretes Ereignis (Abschied von der Dame) mit dem Bild des Abschieds von allen vroͤden (B V,6) verbunden wird.

Das zwei­stro­phige Lied C Hausen 18f., das die in B überlieferten Strophen B IV und V formal und inhaltlich abändert, betont aus der Situation der Trennung heraus die Schuld der Dame am Unglück des Ichs: Sie verhält sich anders, als sie ihm gelobet hat (C Hausen 19,4). Klein, S. 354, wertet die beiden Strophen als Alternativ­stro­phen zum drei­stro­phigen ›Liedkern‹ (I–III), dessen Strophen »durch die Wendung Ich muoz bzw. Mîn herze muoz jeweils in der ersten Zeile verbunden sind.«

Simone Leidinger

Kommentar veröffentlicht am 06.07.2021.
Gehört zur Anthologie: Minne- bzw. Werbelied
 C Hausen 1 = MF 42,1Zitieren
Digitalisat
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 117ra
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 I
 
 C Hausen 2 = MF 42,10Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 117ra
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 II
 
 C Hausen 3 = MF 42,19Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 117ra
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 III
 
 C Hausen 4 = MF 43,1Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 117ra
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 IV
 
 
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