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Ulrich von Gutenburg, ›Ich horte ein merlikin wol singen‹ (C 2–7) Lied zurückDruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: alle sechs Strophen in BC in gleicher Reihenfolge. Die Varianz ist über weite Strecken gering bis nicht vorhanden; an einigen Stellen aber ist deutlich ein redaktionelles Wollen erkennbar. In I,8 bietet C reinen Reim gegen die Assonanz in B; in II,7 steht ein syntaktisch kühnes Manöver in B (Verderbnis?) gegen konventionelleren Ausdruck in C, der aber selbst syntaktisch nicht ganz aufgeht (fehlender Infinitiv?); III,1 hat B Überlänge durch ein überschüssiges Füllwort. In diesen Fällen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die C-Redaktoren glättend ins Lied eingriffen. Dass die lexematischen Raritäten in C (II,1; IV,8; V,8) ebenfalls auf redaktionellen Eingriffen beruhten, ist in Anbetracht der Allerweltswendungen an den entsprechenden B-Stellen weniger zwingend (Prinzip der lectio difficilior), wenn auch die Differenzen im Reim (rein in C, Assonanz in B) an diesen Stellen doch wieder dafür sprechen. In der letzten Strophe gehen die beiden Fassungen aufgrund von Umstellungen und Reformulierungen ganz auseinander; möglicherweise war hier in C das Anliegen leitend, die Abweichung in der Strophenform, wie sie in B fassbar ist, zu beheben. Für alle redaktionellen Bewegungen gilt, dass sich am Sinngehalt kaum Substanzielles ändert. Allenfalls der Liedschluss hat eine je verschiedene Nuance, die aber indirekte Folge (um nicht zu sagen: Kollateralschaden) der energischen Redaktionsbewegungen sein kann.

Form: Kanzone.

5-a 5b / 5-a 5b // 5b 5b 5b 5-a 5b

Eine davon abweichende, dreistollige (?) Bauform hat B VI:

5a 5-b / 5a 5-b / 5a 5-b // 5a 5a 5a

Die Metren erscheinen aus konventioneller, taktzählender Perspektive von größter Lässigkeit zu sein, auch nur einigermaßen regelmäßige Alternation ist im gesamten Lied Rarität, sodass auch die Hebungszahlen nicht mehr als Näherungslösungen darstellen. Dasselbe gilt für die Auftaktgestaltung, die entweder ganz frei ist oder aber sich der präzisen Analyse verschließt. Liest man das Lied daktylisch, sind statt fünf Hebungen eher vier anzusetzen, an den Unregelmäßigkeiten ändert dies wenig. Möglicherweise kommt es auf diese taktmetrischen Fragen schlicht nicht an und hat Ulrich mit seinem Lied versucht, romanischen Formvorstellungen gerecht zu werden. Dafür spricht, neben dem intertextuellen Argument (siehe unten), dass die größere Zahl der Verse zehn Silben hat oder zur Zehnsilbigkeit tendiert, das Lied sich also in dieser silbenzählenden Hinsicht ungleich regelmäßiger ausnimmt als hinsichtlich der Abfolge betonter und unbetonter Silben.

Auffällig ist die Sparsamkeit im Umgang mit den Reimklängen. Pro Strophe gibt es deren nur zwei. Überdies ist der b-Reim (bzw. der a-Reim in B VI) das gesamte Lied über stets ein a/â-Klang, wobei, vermutlich dialektal bedingte, unreine Reime a : â mehrfach vorkommen (II, IV). Vor diesem Hintergrund verblüffen die häufigen rührenden Reime nicht. In III werden die b-Reimklänge auch durch Assonanzen realisiert, detto der a-Reimklang in B I, II, IV, V; im Übrigen sind die Reime rein.

Inhalt: Minneklage. Es werden, nach angedeutetem sommerlichem Natureingang, die üblichen argumentativen Zutaten im Wesentlichen blockhaft gesetzt: Dienst und Leid (I und II), Frauenpreis und Verfallenheit des Ichs (III), Hoffnung und Treue (IV), Bekenntnis zum Sang trotz aller Widrigkeiten (V). Originell ist Strophe VI, in der der Sänger sich selbst beweint (VI). Die Schlussvolten in B und C sind leicht verschieden. Während das Ich in B ganz im Bann ihrer güete steht und so von der Welt abgesondert ist, ist es in C lediglich ihr Bann (und nicht der ihrer güete), der auf den Sänger wirkt; ob er dann nur von der Welt und deren hulde scheidet – was immer es meine – oder von der Welt und der hulde der Geliebten (ambig ist das ir), bleibt offen. Der Liedschluss erhält so in C eine markante pessimistische Note, die im Einzelnen aber nicht leicht zu verstehen ist und die, wie oben angedeutet, leicht auch nur Effekt der formalen Redaktion sein möchte.

Intertext: Das Lied ist eng verwandt mit (wohl Kontrafaktur zu) dem Lied Bien doit chanter von Blondel de Nesle, zu dem es auch Melodieüberlieferung gibt. Die formale Verwandtschaft spiegelt sich in mehrfachen inhaltlichen Anleihen bei Blondels Lied im Speziellen und der romanischen Liedkunst im Allgemeinen.

Florian Kragl

Kommentar veröffentlicht am 08.05.2021.
Gehört zur Anthologie: Minne- bzw. Werbelied
 C Gutenb 2 (1) = MF 77,36Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 74vb
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 I
 
 C Gutenb 3 (2) = MF 78,6Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 74vb
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 II
 
 C Gutenb 4 (3) = MF 78,15Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 74vb
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 III
 
 C Gutenb 5 (4) = MF 78,24Zitieren
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 IV
 
 C Gutenb 6 (5) = MF 78,33Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 75ra
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 V
 
 C Gutenb 7 (6) = MF 79,6Zitieren
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Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 75ra
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 VI
 
 
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