Ulrich von Liechtenstein ist zwischen den Jahren 1227 und 1274 urkundlich bezeugt. Er wurde vermutlich zwischen 1200 und 1210 geboren, als Sterbedatum lässt sich relativ sicher der 26. Januar 1275 ermitteln (zum Folgenden vgl. Linden). Mit 94 Urkunden ist er einer der am besten bezeugten Minnesänger (vgl. die Liste der Urkunden-Regesten bei Spechtler, S. 441–493). Ulrich hatte in der Steiermark ab 1244 das Truchsessamt inne, ab 1267 das Marschallamt und ab 1272 war er steirischer Landrichter. Seine Familie gehörte, obgleich Ministerialen und keine edelfreien Herren, »zu den bedeutendsten Familien der Steiermark« (Linden, S. 58).
Im ›Frauendienst‹, dessen Entstehung von der Forschung meist auf um 1255 datiert wird, sind 172 historisch nachweisbare Personen erwähnt (nur bei vieren stimmt dabei der Vorname nicht zur Datierung); zwischen 86 dieser Personen und dem realen Ulrich von Liechtenstein sind urkundlich Verbindungen belegt (vgl. Linden, S. 46). Solche realhistorischen Elemente haben befördert, dass der ›Frauendienst‹ von der älteren Forschung teilweise im Ganzen als historische Quelle gelesen wurde, was sich erst seit dem späteren 20. Jahrhundert geändert hat.
Zwei Handschriften führen die Lieder Ulrichs von Liechtenstein hinsichtlich des Liedbestand sowie der Strophenreihenfolge weitgehend parallel: zum einen die Manessische Liederhandschrift C, die unter dem Namen Ulrichs ein reines Lied-Œuvre präsentiert, zum anderen die ›Frauendienst‹-Handschrift L, in der die Lieder eingebettet sind in den narrativen Kontext der Ich-Erzählung (vgl. den Korpuskommentar). In welchem Verhältnis C und L dabei genau stehen und ob die Lieder aus der vorgängigen Erzählung gelöst wurden (vgl. Eming, S. 188), oder ob die Erzählung nachträglich über einer Liedsammlung aufgebaut wurde (vgl. Hübner II, S. 493, Anm. 15), ist ungeklärt.
Nur in geringer Hinsicht weichen das Liedkorpus von C und das von L voneinander ab. So ist der Leich L Liecht 128 unikal im Kontext des ›Frauendiensts‹ überliefert. Bei wenigen Liedern führt L zudem unikal Strophen über C hinaus, so je die beiden letzten bei L Liecht 108–114, L Liecht 120–127, L Liecht 202–208 (wobei dies eventuell auf einen Überlieferungsfehler zurückgehen könnte, da in C auch die Strophe L I des sich anschließenden Tagelieds ausgelassen ist) und L Liecht 307–313; unikal überliefert ist auch die erste Strophe von L Liecht 274–280. Bei drei Liedern trägt die letzte Strophe in L eine Art Abschlussbeschwerung in Form von ein oder zwei ›überschüssigen‹ Versen, nämlich L Liecht 187–193 und L Liecht 223–227 (je zwei Verse) sowie L Liecht 195–201 (ein Vers); auch diese Besonderheit ist in den jeweiligen Parallelüberlieferungen in C nicht vorhanden.
Die Manessische Liederhandschrift schließt an das mit L gemeinsame Korpus mit C Liecht 305–311 und C Liecht 312–318 zwei unikal überlieferte Lieder an, welche Bechstein II, S. 311, und von Kraus, S. 556, nicht nur aus inhaltlichen Gründen zum ›Frauendienst‹ rechnen; dem ›Frauendienst‹ in L fehlt es ohne Blattverlust an zweien der in der Erzählung angekündigten 58 Lieder (vgl. Wolf, S. 493). Es wäre denkbar, dass C hier tatsächlich unikal zwei auf Ulrich zurückgehende, vielleicht ursprünglich zum ›Frauendienst‹ gehörende Lieder führt.
Den Abschluss des Ulrich-Korpus in C bilden drei Töne, die vermutlich nicht von Ulrich stammen, einander hinsichtlich ihres Redegestus und teilweise auch der gesellschaftskritischen Ausrichtung jedoch ähneln: Die beiden Sangsprüche C Liecht 319 und C Liecht 320 werden (mit angreifbaren Argumenten) meist Gottfried von Straßburg zugeschrieben (vgl. die Liedkommentare); die Zeitklage C Liecht 321–323 ist wegen der Tongleichheit mit dem ersten Ton Eberhards von Sax (einem Marienpreis) bei Brunner als 1ZZEberhS/2/2 systematisiert (Wolf, S. 498, verwechselt den Korpusschluss Ulrichs mit demjenigen von Gottfried von Straßburg in C, wenn er die drei Strophen als »anonymen Marienpreis und ein didaktisches Lied über die Armut« charakterisiert).
Nur zwei der Lieder Ulrichs sind über C und L hinaus belegt. So ist C Liecht 55–59 nicht nur in L, sondern auch in A überliefert (unter Niune) sowie ein zweites Mal in C, und zwar unter Heinrich von Veldeke; Strophenreihenfolge und Metrik lassen hierbei mit L/C Liecht und A/C Veld zwei Überlieferungsstränge vermuten (zur Autorschaftsdiskussion vgl. Schweikle, S. 148–154). Daneben ist die erste Strophe des Tagelieds L Liecht 209–215 namenlos auch in A überliefert; in C kommt es hier zu einer Korruptele: Die Strophe fehlt dem Tagelied (vgl. C Liecht 204–209), aber drei ihrer Verse bilden den Abschluss des vorangehenden Lieds (vgl. Str. C Liecht 199–203).
Die Manessische Liederhandschrift führt zu Ulrich von Liechtenstein ein reines Liedkorpus, dessen Lieder in L in gleicher Reihenfolge in den narrativen Kontext des ›Frauendiensts‹ eingebettet sind. Im ›Frauendienst‹ stehen die Lieder im Rahmen des Diensts, den der Ich-Erzähler Ulrich von Liechtenstein nicht nur zwei Frauen, sondern auch der Gesellschaft leistet; den Titel erklärt der Erzähler damit, dass er die Geschichte auf Veranlassung der zweiten Dame niedergeschrieben habe (vgl. Bechstein 1848,1–8); der Text ist damit selbst ›Frauendienst‹. Die Narration erzählt typische Minnesangmotive, wie z. B. den Dienst von Kindheit an, aus, umgekehrt gehen konkrete Gegebenheiten der Erzählung nicht in die Lieder ein (vgl. Hübner, S. 85–88). Dennoch sind die Lieder eng mit dem narrativen Kontext verwoben, die Liedreihenfolge wird durch ihn begründet.
Der Verlauf der Erzählung vollzieht zwei Moduswechsel im Liedkorpus nach (vgl. zum Folgenden Hübner, S. 84–98). Zum einen leitet Lied C Liecht 96–102 et al. eine Reihe von scheltwîsen und Absageliedern Ulrichs ein und damit einen ungewöhnlichen Liedtypus (vgl. Linden, S. 204). Im Frauendienst fallen diese Lieder sowie einige allgemein gehaltene Minnelieder mit dem Ende des ersten Dienstes zusammen, das der Erzähler auf eine nicht näher benannte untât der Dame zurückführt (vgl. Bechstein, Str. 1365). Zum anderen beginnt ›Ulrich‹ im ›Frauendienst‹ einen zweiten Dienst, in dessen Zuge C Liecht 160–166 et al. die erste von zahlreichen Minnekanzonen ist, die »fast ausschließlich das Lob der Dame und die Freude des Sängers« thematisieren (Hübner, S.89). In ihrer Vielzahl sind diese Freudekanzonen ein »Autorspezifikum; von keinem anderen Minnesänger sind so viele Freudenlieder überliefert« (ebd.).
In den Liedern Ulrichs von Liechtenstein sind metrische Unregelmäßigkeiten und eine eher freie Auftaktbehandlung nicht selten. Der Schwerpunkt des Korpus liegt weniger auf formaler Raffinesse als darauf, dass hier über »die Liedfolge hinweg [...] das konventionelle Themenspektrum der Minnekanzone [...] geradezu systematisch durchgespielt [wird]« (ebd., S. 85). Die Überschriften, mit denen in L ca. zwei Drittel der Lieder versehen sind (vgl. L Liecht 1–4 bis L Liecht 195–201), tragen dabei zwar Gattungsnamen, aus denen sich jedoch, »abgesehen von Sonderfällen wie dem Tagelied oder der ûzreise, keine strikten poetologischen Kriterien ableiten [lassen]. So bilden vor allem Ulrichs tanzwîsen eine höchst heterogene Gruppe, die vom einfachen Frauenlob (z. B. Lied I) bis zum Scheltlied (z. B. Lied XX) reicht« (Linden, S. 410, Anm. 4). Auffällig ist der das Korpus prägende didaktische Gestus zahlreicher Lieder. So belehrt das Ich z. B. in C Liecht 113–117 et al. über minne, stete und tru̍we, in C Liecht 148–154 et al. führt es ein Lehrgespräch in Frage-Antwort-Struktur vor, mit Anklängen an Walther von der Vogelweide wägt es in C Liecht 10–15 et al. hohe und nidere minne gegeneinander ab und lässt im Lehrgespräch C Liecht 148–154 et al. die Dame fragen: ›Herre, sagt mir, waz ist minne?‹ (C II,1).
Simone Leidinger
Überlieferung/Autorschaft: Im Ton sind zwei Sangsprüche C Liecht 319 und C Liecht 320 tradiert, die unikal im C-Korpus Ulrichs von Liechtenstein überliefert sind, jedoch meist Gottfried von Straßburg zugeschrieben werden (vgl. die Liedkommentare), unter dem sie auch in RSM geführt sind.
Form: 6a .6a .5-b / .6c .6c .5-b // 3-d .7-d .5-e / 3-f .7-f (.)5-e
Plenio, S. 63f., Anm. 2, weist auf die formale Ähnlichkeit mit Walthers erstem Philippston (L 18,26) hin, die neben dem Reimschema auch die ungefähre Hebungszahl der Verse betrifft.
Simone Leidinger
Incipit | Hs. | Strophen | Editionen |
C | 320 | KLD 16 II | |
C | 319 | KLD 16 I |