Autor
Unter dem Namen kol von Nu̍ssen bzw. kol von nu̍nzen (fol. 396v) führt C einen Dichter des 13. Jahrhunderts, der sich weder zeitlich noch räumlich näher identifizieren lässt. Als Herkunftsorte wurden bisher Neuß in der Schweiz sowie Neunzen oder Nitzing in Österreich vorgeschlagen (vgl. Wachinger, S. 738); alle Versuche der Lokalisierung des Autors müssen jedoch ebenso Spekulation bleiben wie solche der Datierung seines Œuvres, die vom Anfang des 13. Jahrhunderts (etwa Wachinger, S. 738) bis in dessen Mitte (von Kraus, S. 265; Kuolt, S. 110) reichen. Die dem Korpus vorangestellte namenlose Miniatur zeigt den bzw. einen Dichter bei der Beizjagd (zur motivlichen Gestaltung Bulang, S. 140–146) – höchstwahrscheinlich liegt hier jedoch eine Verwechslung vor, da das ebenfalls namenlose Autorbild des unmittelbar vorausgehenden Dichterkorpus den Inhalt des ersten Liedes Kols von Niunzen illustriert und damit wohl diesem zugehört (Bulang, S. 143; Walther, S. 258).
Überlieferung und Werk
Die Manessische Liederhandschrift tradiert, nachgetragen von Schreiber ES (Henkes-Zin, S. 19, 23, 174), unter Kol von Niunzen fünf Strophen; die ersten beiden finden sich auch im Niune-Korpus von A und C. Nachdem es sich bei diesem um eine Sammlung von Texten handelt, die ansonsten überwiegend anderen Dichtern zugewiesen werden, gilt Kol als Verfasser des Liedes. Die fünf Strophen gehören zu vier Tönen, mit Ausnahme des ersten sind somit alle anderen als einstrophige konzipiert. Charakteristisch für die Lieder Kols ist es, dass sie sowohl formal wie semantisch Kontrapunkte zu den Konventionen des Hohen Sangs setzen, auf diese zugleich aber auch anspielen. So lassen sich, was ihren Aufbau betrifft, zwar alle Strophen als kanzonenartig beschreiben; jedoch weisen sie, jedenfalls in der überlieferten Gestalt, nicht die typische Abfolge von gleichgestalteten Stollen und Abgesang auf: C Kol 1f. z. B. wechselt in seinen beiden Strophen das Reimschema der Stollen, C Kol 4 stellt die (wiederum verschieden gebauten) Stollen hinter den Abgesang, C Kol 5 könnte eine gespaltene Weise sein, die Stollen sind jedoch in ihrer Form nicht identisch. Auch auf der Ebene des Reims und der Versfüllung scheinen die Strophen Kols »eine naheliegende Regelhaftigkeit zu umgehen« (Schweikle, Sp. 16, vgl. dazu die jeweiligen Liedkommentare). Die Bauform der Lieder Kols ist jedoch nur oberflächlich »willkürlich« (ebd., Sp. 16): Reimresponsionen (C Kol 1f.), Enjambements (in C Kol 4), identische oder auch rührende Reime (in C Kol 3) lenken die Aufmerksamkeit auf inhaltliche Pointen (vgl. Klein, S. 536) und unterstützen den Bedeutungsaufbau der Lieder. Thematisch sind diese durch ihre (explizite und implizite) sexuelle Anzüglichkeit charakterisiert, die immer wieder mit traditionellen Komponenten des Minnesangs kontrastiert wird (dazu Malm, Sp. 230): C Kol 1f. lässt, in zweideutiger Bildlichkeit, auf einen sommerlichen Natureingang eine Liebesvereinigung im Freien folgen; die Forschung hat die Nähe der beiden Strophen zum »Liedtyp der Pastourelle« (Klein, S. 536) betont. C Kol 3 und C Kol 5, die strukturell Elemente der Minneklage und des Frauenpreises aufgreifen, sexualisieren die Semantiken des Ackerbaus bzw. des Stickens und Webens. In C Kol 4 kippt die auf »Sexuelles hingelenkte Hörerwartung« (Schweikle, Sp. 16) zumindest scheinbar in die Schilderung höfischen Minnedienstes um.
Stephanie Seidl