Autor und Überlieferung
›Gedrut‹ ist das neunte Korpus in der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift, das direkt auf ›Niune‹ folgt. Beide Korpora sind Sammlungen, die eine Vielzahl von Liedern enthalten, die andernorts unter anderen Dichternamen überliefert sind, teilweise mit mehrfach divergierenden Zuschreibungen.
Ob eine historische Person hinter ›Gedrut‹ – einer Verkürzung des Frauennamens Gertrud – steht, ist ungewiss. Die Forschung, die von einer historischen Person ausgeht, vermutet in ihr die Besitzerin einer Liedersammlung, »die wohl nicht selbst dichterisch tätig war« (Jahn, Sp. 305); die Autorschaft des ersten, unikal unter Gedrut überlieferten Tons wird daher wie die der folgenden vier Töne meist Geltar zugeschrieben (vgl. ebd.).
In jedem Fall konstruiert A mit beiden Sammlungen, ›Gedrut‹ und ›Niune‹, Autoren, um das Ordnungsprinzip der Handschrift nicht zu durchbrechen (vgl. Schuchert, S. 34). Der Name Gedrut könnte, ähnlich wie ›Geltar‹ – der geltære, Schuldner – oder ›Niune‹ – ein Schauspiel oder eine Münze (vgl. ebd., S. 35) – ein sprechender Name sein und auf gedreut, Nebenform zu getriute, die ›Liebkosung‹ anspielen (vgl. ebd., S. 34f.).
Unter Gedrut führt A 30 Strophen in 13 Tönen. Die ersten beiden Strophen des ersten Tons, A Gedr 1f., sind unikal überliefert. Die anschließenden vier Töne, Strophen drei bis elf, führt C unter Geltar (A Gedr 3 et al., A Gedr 4 et al., A Gedr 5f. et al. und A Gedr 7–11 et al.). Im Rest des Korpus mischen sich Lieder, die R und c unter Neidhart tradieren (A Gedr 13–18 et al., A Gedr 19 et al.), die andernorts Rubin zugeschrieben sind (A Gedr 12 et al.) bzw. in den Überlieferungskontext von Rubin/Rüedeger (A Gedr 20–23 et al., A Gedr 24 et al., A Gedr 30 et al.) fallen, die in anderen Handschriften – neben weiteren Parallelüberlieferungen – mit Reinmar (A Gedr 25–28) und Ulrich von Singenberg (A Gedr et al.) verbunden sind.
Werk
Das Korpus setzt vier Spruchstrophen an den Anfang (A Gedr 1f., A Gedr 3, A Gedr 4), die das Singen thematisieren. Die zehn anschließenden Minnelieder sind heterogen, auffällig sind die vielen Einzelstrophen, die in der Parallelüberlieferung meist Teil eines mehrstrophigen Lieds sind. A Gedr 5f. ist ein kurzes, auf Freude ausgerichtetes Refrainlied, das überleitet zu einem neidhartischen Lied (A Gedr 7–11). A Gedr 12 greift das Thema ›Singen‹ wieder auf, worauf sich zwei Neidhart-Lieder anschließen (A Gedr 13–18 und A Gedr 19). A Gedr 20–23 führt als Minnekreuzlied ein neues Thema ein. Mit A Gedr 24, in dem sich ein Ich über seine Zeitgenossen beschwert, und A Gedr 25–28, das durch den Alterstopos auffällt, sind Minneklagen vertreten. A Gedr 29 konzentriert sich eher auf Liebesfreude, während das Ich in A Gedr 30, in der mehrstrophigen C-Parallelüberlieferung ein Natureingang, erneut den fehlenden Trost durch die Geliebte beklagt.
Simone Leidinger