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Steinmar, ›Sit si mir niht lonen wil‹ (C 1–5) Lied vorDruckerTEI Icon

Überlieferung

C Steinm 1–5

Kommentar

Überlieferung: Die fünf Strophen sind unikal im Steinmar-Korpus in C überliefert.

Form: 4a 4a 3-b / 4c 4c 3-b // 5-d 7-d 4e 1-x .5e

V. 10 verbindet als eine Art Refrain die Strophen miteinander. (Es wäre auch möglich, die Verse zehn und elf zusammenzufassen; doch um den Refraincharakter deutlicher sichtbar zu machen, wurde in der vorliegenden Edition umgebrochen.) Auftakt in III,7; IV,1.3.4.6.9. Überfüllt sind V,7.8.

Inhalt: Herbst- und Schlemmerlied, das als Parodie auf den höfischen Frauendienst lesbar ist. Mit intensiver Bildlichkeit wird dem Minnedienst das Preisen des Herbstes entgegengesetzt: Statt mâze und Selbstkontolle herrschen Übermaß und Kontrollverlust, statt Distanz Inkorporation, statt Leidinszenierung zerstörerische Freude. Anstatt eines Natureingangs übernimmt die Jahreszeitenbeschreibung damit »die substantielle Aussage des Textes. Die Hinwendung zum Herbst bedeutet gleichzeitig eine Abkehr von der Minne« (Adam, S. 103).

Da der Sprecher im Minnedienst erfolglos geblieben ist – si (I,1) hat ihm den Lohn verwehrt –, will er sich in den Dienst des Herbstes stellen, der sich im Kampf gegen den Mai befindet. Er will kein armes minnerlin (I,8), kein martere (ebd.) mehr sein, sondern verschreibt sich dem luͦder (I,11).

In der zweiten Strophe redet der Sprecher direkt zum personifizierten Herbst und trägt ihm seinen Dienst an. Durch den Tod Gebewins scheint gerade ein Platz im Gefolge des Herbstes freigeworden zu sein, den das Ich nun füllen möchte. Der Herbst antwortet ihm, redet ihn mit Steimar (II,8) an und fordert ihn auf, sich zu bewähren und ihn angemessen zu gebruͤven (II,9).

So folgt in den nächsten Strophen ein Loblied auf den Herbst in Form eines Schlemmerliedes, in dem zunächst – spielerisch das Motiv des Körperteilekatalogs des Frauenpreises aufgreifend (vgl. Hübner, S. 129) – eine ›Speisekarte‹ voller Leckereien inszeniert wird. Der Wirt soll reichlich auftischen. Statt Minnefeuer soll maßlose Würze den Schlemmerer ins Schwitzen bringen (vgl. IV,1–3) und der Mund soll wie eine Apotheke duften (vgl. IV,8). Die Drastik des Übermaßes steigert sich bis zu dem Punkt, an dem der Sprecher seine Handlungsmacht vollständig verliert: Selbst, wenn er verstummt, soll der Wirt weiter den Wein in ihn hinein gießen (vgl. IV,9–11).

Wie auf einer Straße soll das Essen durch ihn hindurch strömen (Klein, S. 491, sieht in dem Bild der Straße eine parodistische Parallele zum Sehstrahl, der vom Auge in das Herz führt) und genug Wein, um ein Mühlrad anzutreiben. Diese eindringliche Bildlichkeit der Entgrenzung und Entmenschlichung endet schließlich in dem Bild der Seele, die auf einer Rippe hockt (vgl. V,9–11). Wachinger, S. 802, schlägt zwei Lesarten dieses Bildes vor: zum einen, mit Verweis auf Dtn 12,20, »rippe als Rippenstück von einem Braten, auf das die Seele, vom Wein beflügelt, gesprungen ist«, zum anderen als »Rippe im Innern des Zechers, auf die die Seele sich vor dem hereinstürzenden Wein gerettet hat« (vgl. dazu auch Seemüller, I,350–355). Während Wachinger daran appelliert, »[a]uf jeden Fall die geistliche Bedeutung von sêle fernzuhalten« (S. 803), sieht Lübben den »Verzicht auf das Seelenheil« (S. 83) »als letzte Konsequenz eines absolut der Herbstnorm verpflichteten Lebens« (ebd.) verbildlicht.

Die Entscheidung schließlich, ob der Sprecher seine »Kunstprobe« (Wachinger, S. 801) bestanden und der Herbst ihn in seinen Dienst aufgenommen hat, bleibt den Rezipienten überlassen.

Stellung des Liedes im Gattungskontext: Von der Forschung sind verschiedentlich die besondere Stellung des Liedes im Minnesangkontext sowie die vielfältigen Bezüge und zahlreichen möglichen Quellen hervorgehoben worden, vor deren Hintergrund sich die Dichtung bewegt. Einen Forschungsüberblick gibt Lübben, S. 61–68, die das Gedicht als »Gattungsexperiment« (S. 75) versteht. Simon vermutet drei inhaltliche und motivische Bezugsfelder: deutsche Verserzählungen, lateinische Vagantenlyrik (insb. Lieder der Carmina Burana) sowie die Trouvère-Lyrik (insb. Lieder des Colin Muset).

Die ältere Forschung hat im Rahmen ihrer Zykluskonstruktionen das Lied, entgegen der Überlieferung, an das Ende des Steinmar’schen Schaffens gestellt, als ein Spätwerk des Dichters, in dem seine Distanz zur Tradition des Hohen Sanges am deutlichsten zum Vorschein komme (s. dazu den Abschnit ›Werk‹ im Autorkommentar).

Grunewald dagegen betont die Rollenhaftigkeit des Liedes: »Es ist keine Dichtung gegen den Minnesang [...], es dokumentiert vielmehr das Bedürfnis und Bestreben, dem mit dem dialektischen Minnesystem gegebenen Modell der Minneklage und Minneabsage immer neue Formen und Varianten abzugewinnen« (S. 365). Auch Hübner sieht in dem Lied keine Absage an höfische Normen, sondern die Zurschaustellung adliger Kultiviertheit ex negativo:»Die Selbstbeherrschung ist in Wahrheit die Herrschaft über das eigene Selbst, der eine Chance zu Handlungsmächtigkeit und Freiheit innewohnt, die durch das Besäufnis zerstört wird« (S. 130).

Ulrichs von Winterstetten Lied C Wint 150–152 kann mit Bezug auf Steinmars ›Herbstlied‹ gelesen werden, daraus allerdings eine Polemik Ulrichs gegen Steinmar abzuleiten, wie Hausner, S. 378, es tut, ist umstritten. Abzulesen »sind aus den Liedern keine Angriffe und Gegenschläge, sondern wohl nur verschiedene Minne- und Freudenkonzeptionen der beiden Sänger« (Händl, S. 315f.). Bremer, S. 137, sieht ferner einen Bezug zu C Wint 153–156.

Sandra Hofert

Kommentar veröffentlicht am 13.01.2022; zuletzt geändert am 17.02.2024.
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