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Heinrich von Rugge, ›Ein tumber man iu hat‹ (N₁ 1) DruckerTEI Icon

Überlieferung

N₁ *Rugge 1

Kommentar

Überlieferung: Der Leich ist unikal in N1 überliefert als ein Nachtrag aus dem späten 12. Jh. Die Autornennung findet sich im Text (V. 116) – eine Besonderheit, da Selbstnennungen des Dichternamens bis ins 14. Jh. unüblich waren (vgl. Wachinger, S. 249). Paus, S. 17–32, 139f., sieht in A, I, J, J1 und J2 unechte Zusätze (zu den inhaltlichen und formalen Besonderheiten dieser Versikel s. das Folgende).

Form: vgl. Leichschema

Die allgemeine Struktur: Der Leich lässt sich unterteilen in 14 Versikel bzw. Versikelgruppen. Auffällig sind die zahlreichen Doppelversikel, deren Teile i. d. R. je über Reime miteinander verbunden sind (außer AA1 und BB). Dabei sind zwei Doppelversikel, BB sowie FF, durch eine Vierfachwiederholung strukturiert. Paus, S. 25, fasst die ersten beiden Verse von C je mit Binnenreim zusammen, sodass er enge Parallelen sieht zwischen B, C und F. Auf eine Reihe aufeinanderfolgender Doppelversikel (AA1 bis FF) folgt mit GG bis H2H2 eine Verflechtung von Versikelvarianten, wobei Heusler G2 H1 H2 als »freie Wiederholung« (§ 834) von G G1 H versteht. Innerhalb dieser ›Verflechtung‹ ist die Doppelversikelstruktur mit I bis J2 unterbrochen.

Die Einzelversikel: Von den 14 Versikelgruppen sind lediglich die aufeinanderfolgenden I sowie JJ1J2 keine Doppelversikel. In MF/LH werden dagegen J1 und J2 zu einem Doppelversikel zusammengefasst. Gleichzeitig sind dort sowohl in J als auch J1 keine Binnenreime, sondern Versumbrüche gesetzt, nicht aber in J2; ebenso führen G1 und G2 dort durchgehend Endreime. In der vorliegenden Edition wurde die Präsentation mit Binnenreimen gewählt, um zum einen die Parallelität von G, G1 und G2 zu veranschaulichen (in G keine Binnenreime), zum anderen auch die Verwandtschaft der G-Typen mit den J-Typen transparent zu machen. Die Strophenanapher von J und J1 ließe es ferner zu, J als Einzel-, J1J2 als Doppelversikel zu verstehen (so etwa Heusler, § 834). Diese formal auffällige Passage geht auch mit einem besonderen Inhalt einher (s. u.), sodass etwa Steller, S. 359f., eine Störung des ursprünglichen Textbestandes in den J-Versikeln annimmt. Von Kraus vermutet eine Lücke zwischen dem I- und dem J-Versikel (zweiter Teil von I, erster Teil von J) und geht damit von einer durchgehenden Doppelversikelstruktur des Leichs aus (vgl. MF/KU, S. 238).

Besonderheiten im Leichschema: Der Rhythmus ist weitestgehend alternierend; eine daktylische Lesung legen die letzten beiden Verse von J nahe (vgl. Heusler, § 679). In A wird das Reimschema von einer Waise durchbrochen (s. die Texteingriffe älterer Editionen, dabei aber Zerstörung des Reimschemas des zweiten Teilversikels); aufgrund des Doppelversikel-Kontexts wird in der vorliegenden Edition A1 als Variante von A verstanden, nicht als eigener Versikeltyp. B und F sind strukturell eng miteinander verwandt, doch bedingen Unterschiede in der Kadenz und der Anreimung an den jeweils ersten Teil des Doppelversikels, dass sie nicht zur gleichen Versikelgruppe (etwa F als B2) gezählt werden. Unrein reimt der c-Reim im Doppelversikel H1H1. Die Auftaktgebung von Versikeln eines Typs kann leicht variieren: So ist der erste b-Reim des zweiten Teilversikels von G1G1 eher mit Auftakt zu lesen, ebenso wie der erste und vierte Vers des ersten Teilversikels von FF. Auch der fünfte Vers des ersten E-Versikels ist eher mit Auftakt zu lesen, der erste Vers des zweiten D-Versikels ohne.

Inhalt: Kreuzleich.

»Dieser abseits der sonstigen Lyriküberlieferung tradierte Leich [...] ist der älteste mhd. Kreuzleich und neben dem Minneleich Ulrichs von Gutenburg der älteste erhaltene mhd. Leich überhaupt.« (Schweikle, Sp. 872). Gerahmt wird er von dem Gegensatz tumbheit – wîsheit, verbunden mit einer Demutsformel und der Selbstnennung des Dichters: Ein tumber man (V. 1) gibt einen Rat, dessen Befolgen auch für die Weisen von Nutzen ist. Diesen wisen rat (V. 117) gibt [d]er tumbe man von Ruge (V. 116).

Neben dieser christlich gefassten Sang­spruchrolle dominieren Prediger- und Kreuzfahrer-Rollen des Ichs (vgl. dazu auch Braun, S. 7, sowie Theiss, S. 149, 177): Sein ›Rat‹ ist der Aufruf zum Kreuzzug, der verbunden wird mit der Aussicht auf jenseitigen Lohn. Der Kreuzzug gilt als Möglichkeit zum Heilserwerb, als Weg, statt in der Hölle einen Platz im Himmel zu erwerben (vgl. insb. V. 105f.).

Über den Bezug auf Friedrich Barbarossa in V. 40 wird der Leich historisch kontextualisiert, sodass eine Entstehungszeit des Textes kurz nach 1190 vermutet wird (vgl. z. B. Schulze). Friedrich wird zur Exempelfigur, ebenso wie andere bereits gefallene Kreuzritter: An ihnen hat sich Gottes Gebot erfüllt (vgl. V. 35–40). Docen vermutet darüber hinaus in V. 75–82 eine historische Anspielung: »wie es scheint, lag dem Verfasser hierbei der Verlust Jerusalems (kurz vorher 1187) im Sinne, den er als Strafe [...] darstellt« (S. 457).

Inhaltlich auffällig sind die – auch formal herausfallenden – Versikel I und JJ1J2, in der die Minne thematisiert wird (wobei bereits in V. 30–34 eine Anspielung auf den Gegensatz weltlicher und geistlicher Hingabe gesehen werden kann). In Form eines Dialogs unter zwei Frauen wird das Zu-Hause-Bleiben des Mannes um der Minne Willen kritisiert.

Sandra Hofert

Kommentar veröffentlicht am 26.02.2022.
Gehört zur Anthologie: Leich
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