do hort ich einen ritter vil wol singen
in Ku̍renberges wise ...
Die Autorschaft der unter Kürenberg überlieferten Strophen ist in mehrfacher Hinsicht unsicher. Aus formalen und inhaltlichen Gründen (Langverse, dominierende Einstrophigkeit, Vielzahl an Rollenstrophen etc.) wird angenommen, dass die Strophen um 1150 oder 1160 im Donauraum entstanden sind. In jener Zeit sind im bayerisch-österreichischen Salzachgebiet und um Melk mehrere Dienstmannen de Chur(i)nperch, de Cuͦrnberg etc. bezeugt. Die sichere Identifizierung des Namens mit einem Geschlecht oder einem Herkunftsort ist nicht möglich (vgl. Schweikle, Sp. 455, MF/KA, S. 326–332). Schon Moriz Haupt verweist darauf, dass die Handschriften den Autornamen ›Kürenberg‹ möglicherweise schlicht aus der vierten Strophe des Textkorpus gezogen haben (MF/LH, S. 229): Hier berichtet ein weibliches Ich, wie es einen Ritter in Ku̍renberges wise (C Kürn 4, V. 3) bzw. Churenbergere wise (B₂ Kürn 4, V. 3) singen hört. Die Formulierung in C wurde meist aufgefasst als ›Weise des Kürenbergers‹ (vgl. Kasten, S. 47), also Melodie eines spezifischen Dichters, der sich entweder selbst nennt oder auf einen anderen Dichter Bezug nimmt (vgl. ebd., 589f.). Seit die B₂-Version bekannt ist, die von ›der Melodie der Kürenberger‹ spricht, also von einer ortstypischen Melodie (vgl. Worstbrock, S. 135), wird das traditionelle Verständnis der C-Version stärker in Frage gezogen. So könnte es sein, dass auch die in C repräsentierte, jüngere Form Ku̍renberges schlicht ein Genitiv des Ortsnamens ist und damit zur B₂-Version »nahezu synonym« ist (ebd.). Solche Überlegungen spielen der These zu, dass die unter Kürenberg überlieferten Strophen nicht unbedingt einem einzigen Dichter zuzusprechen sind, sondern dass es gemischte Strophen mehrerer unbekannter Urheber sein könnten (vgl. z. B. Ohlenroth, S. 238, vorsichtiger Benz, S. 580f., 586f.).
In beiden Handschriften geht dem Textkorpus eine Autorminiatur mit offenbar sprechendem Wappen voran, das eine Handmühle zeigt (Walther, S. 52; mhd. kürn ›Mühle‹). Links steht der Dichter, rechts eine Dame, vermutlich im Gespräch (ebd.). In der C-Abbildung trägt die Dame eine Krone, die ganz allgemein einen hohen Stand andeutet (vgl. Glanz, S. 157); in B₂ reicht der Dichter ihr einen Blumenkranz, beide Figuren stehen hier vor einem Baum.
Unter Der von Ku̍renberg führt die Manessische Liederhandschrift (C) fünfzehn Strophen, die ersten neun dieser Strophen bilden in gleicher Reihenfolge das Korpus Der herre von Churenberg im Budapester Fragment (B₂); beide Handschriften sind vermutlich über Vorstufen miteinander verwandt (vgl. Kornrumpf, S. 172–174). Die Textüberlieferung betrifft im Fragment B₂ Seite 1v und hört mit dem Seitenende auf; möglicherweise haben sich analog zu C weitere Strophen angeschlossen. In C ist das Kürenberg-Korpus im Grundstock auf Lage VII vom Schreiber AS festgehalten, Illuminator ist J2 (Henkes-Zin, S. 107, 146).
Die Initialen sind in B₂ (bei allen drei Korpora des Fragments) ausgelassen. In C wechselt üblicherweise die Initialfarbe von Ton zu Ton, im Kürenberg-Korpus haben alle fünfzehn Strophen blaue Initialen, obwohl es durchaus formale Unterschiede gibt: C Kürenb 1f. sind Langversstrophen mit Steg, C Kürn 3–15 sind Langversstrophen ohne Steg, die in etwa der Form der ›Nibelungenstrophe‹ entsprechen. Die Strophen sind dabei generell durch formale Freiheiten gekennzeichnet. Der Schreiber AS versieht erst ab C Kürn 8 ausschließlich die Endreime aller vier Langverse einer Strophe mit Reimpunkten, wobei radierte Reimpunkte an der Stelle der Zäsur auffallen; in den vorangehenden Strophen fehlen Reimpunkte teilweise oder markieren zusätzlich Zäsuren. Dies verstärkt den Eindruck, dass »einige Verwirrung hinsichtlich der Strophenform geherrscht zu haben [scheint], die vielleicht von den zahlreichen unreinen oder fehlenden Reimen herrührt, welche eine Struktur nur schwer erkennen lassen« (Henkes-Zin, S. 146).
Präsentiert wird »ein Minnekonzept, in dessen Zentrum das Spannungsverhältnis zwischen weiblichem Liebesbegehren, sozialer Kontrolle und männlicher Souveränität steht« (Hausmann, Sp. 70). Inhaltlich sind die Strophen heterogen, vorrangig ist der Eindruck »erzählende[r] Lyrik« (Mertens, S. 53), die die höfischen Konzeptionen »in kleinen Geschichten ausformt« (ebd.), was Klage- oder Freudeausdruck und gnomische Elemente integrieren kann. Satz- und Versgrenze fallen meist zusammen, Einstrophigkeit dominiert, es gibt zahlreiche Rollenwechsel. Von den zwei Tönen entspricht der zweite der Form der sogenannten ›Nibelungenliedstrophe‹, der erste integriert einen Steg. Formal lehnen sich die Strophen damit nicht an die romanische Lyrik an, sondern offenbar an eine heimische Tradition. Da das Konzept Hoher Minne nicht vertreten ist, ist umstritten, ob mit inhaltlichen Bezugnahmen auf die romanische Lyrik zu rechnen ist (z. B. in C Kürn 7 et al., vgl. Kasten, S. 591) oder gar mit einem kritisch-ironischen Spiel mit Elementen des Frauendiensts (in C Kürn 4, vgl. Krohn, S. 124–127).
Zentral ist die Frage nach möglichen Strophenzusammenhängen im Korpus, die oft mit jener nach der Sprechrolle zusammengeht. Dies betrifft zunächst die beiden Stegstrophen C Kürn 1f. et al. Die zweite Strophe (V. 1: Wes manst du mich leides) kann als Antwort eines männlichen Sprechers auf die Aufforderung einer weiblichen Sprecherin in der ersten Strophe (V. 5: unde man in, was wir redeten) wahrgenommen werden, aber auch als weitere Strophe einer (derselben?) weiblichen Sprecherin (von Kraus, S. 14f.). Ob die Sprecherrolle wechselt oder ob zwei Frauenstrophen vorliegen, ob ein zweistrophiges Lied vorliegt oder zwei Einzelstrophen, wird kontrovers diskutiert (vgl. den Liedkommentar).
Unter den 13 Strophen des zweiten Tons sticht im Hinblick auf die Mehrstrophigkeit das bekannte ›Falkenlied‹ Ich zoch mir einen valken (C Kürn 8f. et al.) heraus. Seine Strophen nehmen über die Falken- und Schmuckbildlichkeit sowie Wortresponsionen eng aufeinander Bezug. Ihre Zusammengehörigkeit ist Forschungskonsens, dennoch ist das Lied »ein Musterbeispiel für kontroverse Deutungen« (Schweikle, S. 369), die unter anderem die textseitig nicht ausdrücklich markierte Sprechrolle unterschiedlich auslegen.
In welchem Maße über das ›Falkenlied‹ hinaus mit engeren oder weiteren Strophenzusammenschlüssen zu rechnen ist, hat die Forschung meist ausgehend vom sogenannten ›Zinnenwechsel‹ diskutiert, also von den beiden Strophen C Kürn 4 et al. (Ich stuͦnt mir nehtint spate an einer zinne) und C Kürn 12 (Nu bring mir her vil balde min ros, min isengewant). Die erste der Strophen ist in B₂ und C, die zweite nur in C tradiert, wobei die Strophen in C nicht zusammenstehen. Inhaltlich wirkt der Zusammenhang von C Kürn 4 und 12 dabei eng: Ein männliches Ich scheint in C Kürn 12 direkt auf die Aufforderung der Sprecherin in C Kürn 4 zu reagieren, wegen ihr du̍ lant zu rumen (C Kürn 4, V. 4 und C Kürn 12, V. 2). Beide Strophen werden meist als Wechsel aufgefasst (vgl. Brunner, S. 198: »Am Zusammenhang der beiden hier zu einem Wechsel zusammengestellten Strophen kann es keinen Zweifel geben, obwohl sie [...] nicht aufeinander folgen«). Auf die erste Strophe des sog. ›Zinnenwechsels‹ folgt statt der zweiten mit C Kürn 5 et al. (Jo stuͦnt ich nehtint spate) ein Text, der sich C Kürn 4 und 12 als parodistische Überbietung an die Seite zu stellen scheint. Dies hat nicht nur Echtheitsdiskussionen angestoßen, sondern auch zahlreiche Versuche, die Strophenreihenfolge des gesamten Textkorpus zu erklären oder umzuordnen.
Dabei lassen sich forschungsgeschichtlich vier unterschiedliche Ansätze erkennen: »die Neuordnung in einzelne, voneinander unabhängige Sondergruppen, die Verbindung sämtlicher Strophen zu Wechseln, die romanhafte Einheit der Kürenberg-Textgruppe und schließlich ihre zyklische Anordnung. Davon unberührt ist die Auffassung der Kürenberg-Texte als in sich geschlossene, selbständige Einzelstrophe« (vgl. Schmid, hier S. 11). Die meisten jener Ansätze begegnen eher vereinzelt und wissenschaftsgeschichtlich früh. Dies betrifft die Neuordnung der Strophen in einzelne Sondergruppen (z. B. Wackernagel: acht Gruppen; Wackernagel: zehn Gruppen; Simrock: neun Gruppen), die Umordnung der Strophen mit dem Ziel, einen Liebesroman zu rekonstruieren (Mayer), bzw. die Deutung aller Strophen als Teil eines ursprünglich »erzählende[n] bericht[s], in den die strophen nur eingelegt« waren (Meyer, S. 245) in der Art von Ulrichs von Liechtenstein ›Frauendienst‹; auch die Zyklusidee (Schwietering, S. 78f.) als Abwandlung der Romanthese steht eher für sich. Bis in neuere Zeit hingegen wurde der Gedanke einer Ordnung des Korpus zu Wechseln wiederholt aufgegriffen, und auch die grundsätzliche Einstrophigkeit wurde und wird immer wieder betont.
Früh hat Joseph die Ansicht vertreten, dass alle Kürenberg-Strophen in Wechseln miteinander verbunden sind. Er geht dabei vom zweiten Ton aus, der sich in C grob in eine Reihe von Frauenstrophen (C Kürn 3–10) gliedert, die an der dritten Stelle durch eine Dialogstrophe unterbrochen ist (C Kürn 5), und eine Reihe von Mannesstrophen (C Kürn 11–15). Joseph macht darauf aufmerksam, dass die beiden Strophen des ›Zinnenwechsels‹ jeweils an der zweiten Stelle der Reihen stehen. Die übrigen Strophen bezieht er ebenfalls als Wechsel aufeinander (C Kürn 3 und C Kürn 11, C Kürn 6 und C Kürn 13, C Kürn 7 und C Kürn 14, C Kürn 10 und C Kürn 15), analog fasst er gegen MF/LH auch die ersten beiden, formal für sich stehenden Strophen C Kürn 1f. als Wechsel auf (vgl. Joseph, S. 20–24). Die Dialogstrophe C Kürn 5 (Jo stuͦnt ich nehtint spate vor dinem bete) und das ›Falkenlied‹ C Kürn 8f. schließt er aus dieser Reihe aus. Er begründet eine Auffassungstradition, wenn er die Dialogstrophe als Parodie auf den ›Zinnenwechsel‹ deutet (Joseph, S. 25f.), die in der Handschrift wegen ihres ähnlichen Strophenanfangs auf C Kürn 4 (Ich stuͦnt mir nehtint spate an einer zinne) folgt. Strophen mit unsicherem Sprecher (neben dem ›Falkenlied‹ auch C Kürn 2 und C Kürn 7) kann er jedoch nicht zufriedenstellend integrieren (vgl. Schmid, S. 6f.), teilweise gelingt es »ihm nur gewaltsam, einigermaßen deutliche inhaltliche Verbindungen zwischen den einzelnen Wechelstrophen herzustellen« (Schmid, S. 15); und mit der These, dass das Korpus in einer Handschriftenquelle tatsächlich in Wechseln geordnet war (Joseph, S. 28f.), wird man – nicht nur wegen der Entdeckung des Budapester Fragments in den 80er Jahren, das die C-Ordnung des Kürenberg-Korpus bestätigt – vorsichtig umgehen. Die Wechsel-These wurde wiederholt aufgegriffen, wobei die Zusammenstellung der Strophen je leicht modifiziert wurde (vgl. z. B. die Anthologie von Fischer, S. 2–8, sowie die Untersuchung von Haller), zuletzt von Schilling. Schilling betrachtet dabei die Ordnung der Strophen nicht unter produktionsästhetischen Gesichtspunkten, sondern begreift sie als Spur einer Aufführungskonzeption, die mit Rollen spielt. Für die weibliche Trennungsklage C Kürn 10 (Es gat mir vonme herzen) sieht er, anders als Joseph, kein Pendant, er reduziert die Reihe an Wechseln neben dem ›Zinnenwechsel‹ damit auf C Kürn 3 und C Kürn 11, C Kürn 6 und C Kürn 13, C Kürn 7 und C Kürn 14. Dem ›Falkenlied‹ C Kürn 8f. ordnet er nicht nur die Dialogstrophe C Kürn 5 als parodistische Überbietung zu, sondern er sieht es auch in einem absichtlichen, auf Komik zielenden Kontrast zu der sogenannten Prahlstrophe C Kürn 15 (Mertens, S. 51, bezeichnet das ›Falkenlied‹ als »Revocatio« der ›Prahlstrophe‹).
Letztlich scheinen die Strophen, betrachtet man die Forschungsgeschichte, sehr unterschiedlich kombinierbar zu sein. Auch jene Positionen, die daher grundsätzlich von einstrophigen Liedern ausgehen, setzen aber meist übereinstimmend wenige Ausnahmen an (z. B. Ittenbach, S. 33–50, Ipsen, S. 320): Als zweistrophige Lieder gelten fast immer das ›Falkenlied‹ und der ›Zinnenwechsel‹, oft wird auch Ton I als Wechsel interpretiert. Selten wird Einstrophigkeit zugespitzt und mit der Annahme verbunden, dass das Kürenberg-Korpus und andere Korpora, die die vermutlich frühe Lyrik repräsentieren, Strophen unterschiedlicher, anonymer Autoren versammeln (Ohlenroth, S. 238). Zuletzt greift Benz dies modifizierend auf mit der These einer »kollektiv vollzogene[n] Variationskunst« (ebd., S. 596), bei der im Vortrag neue und alte Einzelstrophen in immer neuen Kombinationen neu arrangiert werden. Benz fordert daher, in Bezug auf all jene frühen Langversstrophen, die formal und inhaltlich keinen romanischen Einfluss erkennen lassen, auf Kategorien wie ›Lied‹ und ›Wechsel‹ ganz zu verzichten.
Wie schon Joseph S. 27f., anmerkt, geht es eventuell auf die Sammler zurück, dass nicht die beiden Strophen des vermeintlichen ›Zinnenwechsels‹ in der Handschrift aufeinander folgen, sondern mit C Kürn 4 (Ich stuͦnt mir nehtint spate), C Kürn 5 (Jo stuͦnt ich nehtint spate) und C Kürn 6 (Swenne ich stan aleine) drei Strophen, die im ersten Vers das Verb stan führen. Es zeigt sich, dass in den großen Sammelhandschriften »häufig zwei Liedtöne direkt aufeinanderfolgen, weil der Anfang eines Liedes einzelne Wendungen oder auch nur ein Wort des vorangegangenen Liedes aufgreift« (Holznagel, S. 262–268, hier S. 262). Dieses »Concatenatio-Prinzip« (Touber, S. 187) ist für Kürenberg einerseits insofern fraglich, als es die Tonfolge, nicht die Strophenabfolge innerhalb eines Tones betrifft. Andererseits ist das Prinzip an Texten erschlossen, bei denen Ton- und Liedgrenze zusammenfallen. Möglicherweise folgen auch bei Kürenberg Einzelstrophen aufeinander, weil die Sammler bei der Zusammenstellung eine Verkettung der Strophen über Wortresponsionen in den Anfangsversen oder den Anfangs- und Endversen angestrebt haben. Dies könnte auch die Zusammenstellung der beiden Stegstrophen C Kürn 1f. erklären (ausgelöst durch das Verb manen; vgl. Benz, S. 585), eventuell auch weitere Strophenabfolgen im zweiten Ton, wobei Wortresponsionen hier gängige Wörter betreffen und Zufall sein könnten (vgl. z. B. herze in C Kürn 6 und 7 oder wib in C Kürn 14 und 15).
Dass die unter Kürenberg überlieferten Lieder der Frühzeit des Minnesangs zuzuordnen sind, ist Forschungskonsens. Von welchem Autor sie stammen und mit welchem Konzept von Autorschaft zu rechnen ist, ob sie als Einzelstrophen vorgetragen wurden oder in (variierenden?) Kombinationen, ob bei manchen Strophen absichtlich auf eine Rollenfestlegung verzichtet wurde (vgl. Cramer) oder ob solche Offenheit ein Phänomen heutiger Rezeption ist, ob die Lieder Anspielungen auf die romanische oder romanisch beeinflusste Lyrik enthalten oder ob sie ganz für sich stehen, ist umstritten.
Simone Leidinger
Incipit | Hs. | Strophen | Editionen |
B₂ | 3–9 | MF 7,19 | |
C | 3–15 | MF 7,19 | |
C | 1 2 | MF 7,1 | |
B₂ | 1 2 | MF 7,1 |